Politik

Zivilgesellschaft braucht Freiräume

'Shrinking Space'-Aktion zum Tag der Demokratie 2018

Zivilgesellschaftliche Organisationen sind ein Grundpfeiler für Demokratie und Gemeinwohl in Europa. Doch ihr Fortbestehen ist bedroht: Wir beobachten mit Sorge, dass die Arbeit von Zivilgesellschaften zunehmend eingeschränkt wird – auch innerhalb der EU. Das künftige Europaparlament muss dieser Entwicklung entschieden entgegentreten.

Für die Demokratien in Europa und das Gemeinwohl der Gesellschaft bilden zivilgesellschaftliche Organisationen einen zentralen Grundpfeiler. Viele setzen sich dafür ein, dass Gesellschaften demokratischer, ökologisch nachhaltiger, gerechter oder sozialer werden. Mit ihrer Arbeit sind sie ein Bindeglied zwischen Bevölkerung und politischen Entscheidungsträger_innen sowie eine wichtige Kontrollinstanz. Sie geben benachteiligten oder unterrepräsentierten Menschen eine Stimme, die sonst im politischen Diskurs wenig Gehör finden. Millionen von Europäerinnen und Europäern unterstützen diese Organisationen mit Zeit oder Geld.

Zivilgesellschaft ist unter Druck

In vielen Staaten innerhalb und außerhalb Europas propagieren und verfolgen Regierungen ein zunehmend autoritäres und illiberaleres Staatsverständnis. Als Folge wird die Arbeit für zivilgesellschaftliche Organisationen erschwert, eingeschränkt oder verhindert. Besonders dann, wenn sie als politisch unbequem empfunden wird. Einschüchterungsversuche, öffentliche Diskreditierung, Verbote von Aktivitäten, Einschränkungen von Finanzierungsmöglichkeiten, willkürliche Verhaftungen, Gewalt und administrative Schikanen zwingen sie vielfach dazu, ihre Arbeit einzuschränken oder ganz aufzugeben. Der CIVICUS-Monitor belegt diesen Trend eindrücklich: 2017 lebten nur zwei Prozent der Weltbevölkerung in uneingeschränkter gesellschaftlicher Freiheit. In sieben von acht Staaten der Erde ergreift die jeweilige Regierung Maßnahmen gegen Journalist_innen, Menschenrechtsverteidiger_innen, politische Aktivist_innen oder gegen Nichtregierungsorganisationen (NRO). Die Situation, dass Zivilgesellschaften weltweit zunehmend unter Druck geraten, ist auch eine Folge einer Krise der Demokratie und der seit Jahren steigenden Zahl an Autokratien. Während vor zwölf Jahren noch jedes sechste Land in vorbildlicher Weise demokratische Wahlen abhielt, war dies 2015 und 2016 nur noch in jedem 14. Staat der Fall.

Das neue EU-Parlament muss handeln

Das neue Europaparlament muss zivilgesellschaftliche Organisationen stärken, Einschränkungen von NRO entschieden entgegentreten und neue Freiräume schaffen. Mit Sorge beobachten wir, dass zivilgesellschaftliche Handlungsräume auch in Europa abnehmen. Eine herabwürdigende Rhetorik gegenüber Frauen, Menschen mit Behinderung, Migrant_innen, politischen Gegner_innen wie auch gegenüber kritischen Medien lässt Vorurteile erstarken, errichtet in den Köpfen der Menschen Mauern und schafft für zivilgesellschaftliche Akteur_innen zunehmend schwierige Arbeitsbedingungen. So diffamieren beispielsweise Schlagwörter wie Anti-Abschiebe-Industrie und Attacken auf den Rechtsstaat das Engagement für Flüchtlinge, oder sie greifen das Grundrecht auf Asyl an. In der Praxis werden Folgen bereits sichtbar: Massiv wurde inzwischen die Arbeit der Seenotrettung eingeschränkt: Boote werden beschlagnahmt und Helfer_innen für ihr Engagement, Menschenleben zu retten, juristisch verfolgt.

Auch internationale Kooperation und Multilateralismus werden dadurch gefährdet, dass nationalistische Ideologien erstarken. Denn internationale Organisationen, Mechanismen zum Schutz von Menschenrechten und die Partizipation der Zivilgesellschaft in internationalen Governance-Strukturen sind gerade populistischen und autoritären Regimen häufig ein Dorn im Auge. Aus diesem Grund werden immer mehr zivilgesellschaftliche Akteure, die beispielsweise im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen Stellungnahmen abgeben oder Klagen bei internationalen Gerichtshöfen unterstützen, von ihren Regierungen diffamiert oder verfolgt.

Unsere Forderungen

Die Europäische Union (EU) muss ihre Außenbeziehungen kohärent an Demokratie und Menschenrechten ausrichten. Verbindliche Prüfverfahren, beispielsweise eine menschenrechtliche Risikofolgeabschätzung, müssen sicherstellen, dass politische Entscheidungen und Maßnahmen auf europäischer Ebene Menschenrechte und zivilgesellschaftliche Handlungsräume in anderen Ländern nicht negativ beeinflussen.

Die EU muss zudem die systematische Umsetzung der EU-Leitlinien zum Schutz von Menschenrechtsverteidiger_innen durch ihre EU-Delegationen sicherstellen. Dies muss unter anderem durch systematische Kontakte, regelmäßige Berichte sowie durch die Erarbeitung lokaler Strategien in allen Bereichen der EU-Außenpolitik geschehen. Auch muss die EU darauf hinwirken, dass Verfahren der Visavergabe für gefährdete Aktivist_innen beschleunigt und vereinfacht werden. Es muss ein regelmäßiger Austausch der EU-Delegationen mit Organisationen und Akteur_innen der lokalen Zivilgesellschaft etabliert werden.

NRO und zivilgesellschaftliche Initiativen in Partnerländern der EU müssen außerdem so gefördert werden, dass sie auch bei gezielten Einschränkungsversuchen arbeitsfähig bleiben. Hierzu bedarf es sowohl flexibler Verfahren als auch verstärkter institutioneller Förderungen. Die Unterstützung von NRO muss auch in Zukunft die Arbeit zur politischen Willensbildung und die Zusammenarbeit in Netzwerken ermöglichen.

Darüber hinaus müssen europäische Nichtregierungsorganisationen in der Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Hilfe vor staatlichen Maßnahmen geschützt werden, die darauf abzielen, ihre Handlungsfähigkeit einzuschränken oder ihre Arbeit zu diffamieren.


Die Europawahl am 26. Mai 2019 spielt für für die Umsetzung der Agenda 2030 und die Förderung nachhaltiger Entwicklung eine wichtige Rolle. Ob Armutsbekämpfung, die Ausgestaltung einer gerechten Handelspolitik oder Klimaschutz – all diese Ziele müssen von der Europäischen Union auch in der kommenden Legislaturperiode konsequent verfolgt werden. Unsere Erwartungen an die künftigen Mitglieder des Europäischen Parlaments haben wir in unserem Positionspapier zur Europawahl formuliert. Daran anknüpfend legen wir in einer Serie von Blogartikeln unsere Forderungen für ein nachhaltiges, faires und solidarisches Europa dar.