Vor zwei Tagen hat in New York das High-level Political Forum zur Umsetzung der Agenda 2030 begonnen. Zehn Tage lang debattieren und berichten Vertreter_innen von Regierungen, multinationalen Institutionen und Zivilgesellschaft darüber, wie die Entwicklungsziele erreicht werden können. Ist ein wirklicher Paradigmenwechsel zu erwarten?
Die im September 2015 beschlossene und seit 2016 geltende Agenda 2030 schließt an die Millennium-Entwicklungsziele an. Anders als diese nimmt die neue Agenda alle Länder – nicht nur die sog. Entwicklungsländer – in den Blick und fordert tiefgreifende Veränderungen.
Großes Interesse am HLPF
Im Unterschied zum letztjährigen High-level Political Forum (HLPF), bei dem 22 Länder berichteten, ist der Andrang in diesem Jahr groß: 44 Länder werden in den letzten drei Tagen der Konferenz ihre Berichte vorlegen. Auch hat die Zahl der Teilnehmenden sprunghaft zugenommen: Fast 2.500 Personen haben sich angemeldet! Von den 270 eingereichten side events können nur 120 tatsächlich stattfinden.
Neu ist in diesem Jahr, dass es neben den Länderberichten auch sog. thematic reviews gibt. Seit Beginn der Konferenz werden die für dieses Jahr ausgewählten Ziele im Plenum diskutiert. Großen Raum nahmen dabei bisher die Ziele 1 (Armutsbekämpfung) und 2 (Bekämpfung von Hunger und Mangelernährung) ein. Dabei geht es sowohl um Analysen – denn auch die Ansichten über die Ursachen der Probleme gehen sehr weit auseinander – als auch um Strategien, wobei letztere noch immer mit großer Mehrheit bei deren Planungen halt machen. Weitere Ziele der thematic reviews sind die Ziele 3 (Gesundheit), 5 (Gendergerechtigkeit), 9 (Infrastruktur), 14 (Ozeane) und 17 (Globale Partnerschaft).
Wie ist die aktuelle Situation?
Erschütternde Erkenntnisse, die von Wissenschaft und Statistik bestätigt werden, sind der massive Rückgang der biologischen Nachhaltigkeit seit den 1990er Jahren sowie die noch immer sehr hohe Zahl von Menschen, die an Hunger und Mangelernährung leiden, insbesondere Kinder.
Auch wird bereits in verschiedenen Veranstaltungen kommuniziert, dass der im Oktober erscheinende Bericht der UN-Welternährungsorganisation (FAO) zur Situation der Ernährung weltweit aufzeigen wird, dass sich die Zahl der Menschen, die an Hunger leiden, vergrößert hat und wieder über 800 Millionen Menschen liegt!
Studien der Georgetown University haben darüber hinaus gezeigt: Zwar wurde die Zahl der Menschen, die in extremer Armut leben, reduziert – dies betrifft aber vor allem diejenigen, die ohnehin nahe der von der Weltbank definierten monetären Armutsgrenze von 1,9 US-Dollar Kaufkraftparität gelebt haben. Die Situation derjenigen, die mit 67 US-Cent am Tage auskommen müssen, hat sich nicht verändert! Die extremste Armutssituation wurde mit herkömmlichen Politikansätzen nicht verbessert. Das ist eine erschütternde und wichtige Erkenntnis, denn sie macht deutlich, dass die aktuellen Instrumente und Ansätze nicht greifen. Prof. Martin Ravallion von der Georgetown University fordert daher Politikansätze, die eine umfassende Grundsicherung bereitstellen, einschließlich Bildung und Gesundheitsversorgung (“full basic income”) und Mechanismen der Umverteilung. Dies können Systeme sozialer Sicherung leisten.
Soziale Sicherheit als wichtige Grundlage für die Erreichung der Ziele
In der überwiegenden Mehrheit der Präsentationen zu den Themenfeldern Armutsbekämpfung und Beseitigung des Hungers wurden Systeme sozialer Sicherheit als unbedingt notwendig genannt. Deren Relevanz für die Erreichung der Ziele steht zumindest in den Beiträgen nicht in Frage. Das Interesse an der Thematik ist entsprechend groß. Zu einer Veranstaltung zu sozialer Sicherheit, die gemeinsam von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), der Weltbank, der Global Coalition for Social Protection Floors und Brot für die Welt am Montag, 10. Juli, organisiert wurde, kamen 100 Personen, die sich aktiv an der Diskussion beteiligten. Ein zweites side event zu sozialer Sicherheit wird am Dienstag, 18. Juli, um 18.15 in der deutschen ständigen Vertretung veranstalten. Dies findet während des sog. Highl Level Segments statt, also der Anwesenheit von hochrangigen Regierungsvertretern.
Welche Rolle spielen „private Akteure“?
Gerade auch im Kontext von Armutsbekämpfung wurde verschiedentlich auf die zunehmende Ungleichheit hingewiesen, die die Mehrheit der Menschen weltweit ausschließt. Robert Johnson, Präsident des Institute for New Economic Thinking bezeichnete sehr klar das Streben nach extrem hohem Einkommen insbesondere in den Industrieländern als Hinderungsgrund für weltweite ökonomische Entwicklung. Die Idee, dass öffentlich-private Partnerschaften letztendlich zu einer Verbesserung der Armutssituation führen würden, wurde von ihm stark bezweifelt.
Neben solchen Positionen kommen auch andere Perspektiven zum Zuge, die den sog. Multistakeholder-Ansatz für unbedingt notwendig halten und gerade hierfür die Agenda 2030 als Grundlage sehen, so die Koordinatorin von Scaling-Up Nutrition (SUN), eines sehr unternehmensfreundlichen Netzwerkes, Gerda Verburg.
Wirklicher Paradigmenwechsel oder alter Wein in neuen Schläuchen?
Klare Worte, was Ideen und Ansätze zur Umsetzung der Agenda 2030 betrifft, findet die Vertreterin von La Via Campesina Zimbabwe, Elizabeth Mpofu: „I am invited as a farmer, peasant, woman. What is inside this document of the SDGs? It looks great when it is on paper. Is that a reality? Do we really mean it? Who are we representing here? I am in a global peasant movement that represents over 200 million farmers. It is mentioned – no one should be left out. Is that real? We are witnessing the privatization in its various forms: the budget cuts on social spending, health, education and food programs. To us, this is development driven by growth, the search for quick solutions to end poverty. In reality, this is the same policies that caused the hunger, the poverty we are talking about today. For us, it just changed the appearance, to put old wine into new bottles” (Zitiert nach eigener Mitschrift).
Wo sind also die neuen Ansätze, die auch die Verantwortung des Nordens in den Blick nehmen? Denn das wird bereits nach zwei Tagen deutlich: So gut wie alle Beiträge beziehen sich auf Lösungsansätze, die in den Ländern des Südens verortet werden sollen. Die Verantwortung des Nordens für Armutssituationen kommt kaum vor – am ehesten in der bisher noch schwachen Forderung nach internationalen Systemen zur Bekämpfung von illegalen Finanzflüssen und Steuervermeidung.
Verbindliche Regeln und Einhaltung der Menschenrechte
Wichtig ist aus der Perspektive von Brot für die Welt vor allem, dass der Menschenrechtsbezug bei der Umsetzung der Agenda immer wieder als Grundlage betont wird. Dies wurde erfreulicherweise bei den Präsentationen im Hauptprogramm vor allem durch Vertreter_innen der Zivilgesellschaft geleistet. Auch beziehen sich die Beiträge der Zivilgesellschaft immer wieder auf bereits bestehende Vereinbarungen, Richtlinien und Rahmensetzungen, hinter die nicht zurückgegangen werden darf.
Bisher bietet das HLPF vorrangig eine breite Plattform für die Präsentationen sehr diverser Ideen, Analysen und Ansätze. In der nächsten Woche wird sich zeigen, was die Regierungen bereits zu berichten haben und welche Aspekte und Ansätze in die ministerielle Abschlusserklärung aufgenommen werden.
Dr. Luise Steinwachs | Stellv. VENRO-Vorsitzende |