Jeden Tag fallen Menschen Waffen zum Opfer, die international durch die Mehrzahl der Staaten geächtet sind: Landminen und Streubomben sowie nicht-explodierte Kriegsreste töten und verstümmeln vor allem Zivilist_innen. Der heutige Internationale Tag der Minenaufklärung erinnert eindringlich an die anhaltende Gefahr, berichtet Veronika Wies von unserer Mitgliedsorganisation Handicap International.
Vor 20 Jahren am 4. April wurde der „Internationale Tag der Minenaufklärung und der Unterstützung des Humanitären Minenräumens“ von den Vereinten Nationen ins Leben gerufen, um nachdrücklich darauf aufmerksam zu machen, die anhaltende Gefahr durch Landminen, Streubomben und nicht explodierte Kriegsreste – das sind Bomben- oder Granatenreste – ernst zu nehmen und kontinuierlich zu bekämpfen. Besonders gefährdet ist sind Zivilist_innen: Allein im Jahr 2023 stammten 84 Prozent der Minenopfer und 93 Prozent der Opfer von Streubomben aus der Zivilbevölkerung.
Vor diesem Hintergrund ist es umso besorgniserregender, dass die Verteidigungsminister Polens und der baltischen Staaten kürzlich den Austritt aus dem Antipersonen-Minen-Verbotsvertrag (Ottawa-Konvention) forderten. Litauen vollzog bereits im März als erster Staat den Austritt aus dem Streubomben-Verbotsvertrag (Oslo-Konvention). Beide Verträge haben in den letzten Jahren erheblich zur Räumung von Minen und Blindgängern sowie zur Unterstützung Betroffener beigetragen. Neben der Opferfürsorge und der Beseitigung von Minen zählt auch die Aufklärung über deren Gefahr zur sogenannten humanitären Minenräumung.
Doch wer sind die betroffenen Menschen genau? Die Zivilbevölkerung ist schließlich keine homogene Gruppe.
Zivile Opfer von Landminen, Streumunition und explosiven Kriegsresten: Wer ist besonders betroffen?
Dank der detaillierteren Datenerfassung in den letzten Jahren wird klar, welche Bevölkerungsgruppen besonders häufig verletzt oder getötet werden: 2023 waren 37 Prozent der Minen- und 47 Prozent der Streubombenopfer Kinder – darunter vor allem Jungen.
Männer verunglücken häufiger durch Minen, da sie in vielen betroffenen Ländern öfter draußen arbeiten, während Jungen häufiger draußen spielen. Die meisten Unfälle passieren bei der Feldarbeit. Frauen und Mädchen sind oft indirekt betroffen: Sie pflegen Überlebende und sichern das Einkommen. Mädchen werden bei knappen Ressourcen häufiger früh aus der Schule genommen oder verheiratet.
Geschlechternormen und andere Identitätsfaktoren wie Alter oder Behinderung beeinflussen neben der Risikoexposition auch den Zugang zur Risikoaufklärung und den Unterstützungsleistungen in der Opferfürsorge.
Inklusive Maßnahmen und ihre teils transformative Kraft
Entsprechende Maßnahmen müssen dieser Ungleichheit Rechnung tragen. Bei der Risikoaufklärung, die zum Ziel hat, Unfälle mit Blindgängern zu verhindern, ist es etwa wichtig, die zuvor genannten unterschiedlichen Risikoprofile zu berücksichtigen und die Informationen zielgruppengerecht zu vermitteln. So führte Handicap International in der Ukraine beispielsweise mit der Unterstützung des Auswärtigen Amtes eine speziell an Männer zwischen 25 und 55 Jahre gerichtete digitale Aufklärungskampagne zur Minengefahr durch, die in besonders kontaminierten Gebieten als Fahrer, Handwerker oder Landwirte tätig sind. Kinder in der Ukraine hingegen werden altersgerecht in speziellen Unterrichtseinheiten an ihren Schulen über die Gefahr von Minen und Blindgängern aufgeklärt.
Um Menschen mit Behinderungen in der Risikoaufklärung zu erreichen, gehen immer mehr Organisationen in der humanitären Minenräumung dazu über, Überlebende von Unfällen mit Minen und Blindgängern in die Entwicklung und Umsetzung von Materialien zur Risikoaufklärung einzubeziehen, um die Wirksamkeit der Materialien zu erhöhen und Stigmata gegenüber Menschen mit Behinderungen abzubauen.
Auch in der Opferhilfe, die medizinische Notfall- und Dauerbehandlung, Rehabilitation, psychologische Unterstützung sowie Maßnahmen zur sozialen und wirtschaftlichen Eingliederung umfasst, ist eine individuelle Unterstützung entscheidend. Beispielsweise benötigen Frauen und Mädchen oft sichere Beratungsräume, Kinder altersgerechte psychologische Betreuung und Menschen mit Behinderungen barrierefreie medizinische Versorgung und angepasste Hilfsmittel wie Prothesen oder Rollstühle – um nur einige Beispiele zu nennen. Auch Mehrfachdiskriminierung muss in der Opferfürsorge berücksichtigt werden: So haben Frauen mit Behinderungen beispielsweise oft noch größere Schwierigkeiten beim Zugang zu Unterstützungsleistungen als Frauen ohne Behinderungen.
Maßnahmen können traditionelle Geschlechterrollen aufbrechen
Die Umsetzung gender- und altersgerechter Maßnahmen sowie solche zur Inklusion von Menschen mit Behinderungen in der Opferfürsorge ist in den internationalen Standards zur humanitären Minenräumung (IMAS 13.10) der Vereinten Nationen festgelegt, an denen sich viele Unterzeichnerstaaten des Landminen- und Streubombenverbotsvertrags und Akteure in der humanitären Minenräumung orientieren. 2023 war der Irak das erste Land, das IMAS 13.10 vollständig in seine nationalen Standards integriert hat.
Einige Maßnahmen können sogar geschlechtertransformativ wirken und dazu beitragen, traditionelle Geschlechterrollen aufzubrechen: Wenn Frauen in der Minenräumung tätig werden, trägt dieses Engagement zur ihrer wirtschaftlichen Stärkung bei und fördert ihr Selbstbewusstsein und ihre gesellschaftliche Anerkennung.
Im Irak sind zahlreiche Entminerinnen tätig, so wie Istabraq und Mawj. Anfangs war es zwar nicht so einfach, sich gegen die männlichen Kollegen durchzusetzen: „Da war schon der eine oder andere Kollege, der es nicht gewöhnt war, mit Frauen zusammenzuarbeiten“, berichtet Mawj. Doch inzwischen herrschen ein kollegialer Ton und eine positive Dynamik im Team. Istbraq hatte eher mit den Vorbehalten ihrer Familie zu kämpfen. Vor allem ihr Bruder und ihre Mutter waren anfänglich dagegen, dass sie sich zur Minenräumerin ausbilden ließ. Sie ließ sich davon jedoch nicht abhalten und ist heute stolz darauf, als Entminerin tätig zu sein und das Leben in ihrer Gemeinde wieder sicherer zu machen.
Auch in Kolumbien, Laos und im Senegal stehen Frauen in der Minenräumung an vorderster Front. Die Minenräumerin Jennifer entmint in Kolumbien in der Region, in der sie aufgewachsen ist und die Jahre lang unter der Kontrolle einer Guerillaorganisation stand. Ihr Vater wurde damals ermordet, ihre älteren Brüder zwangsrekrutiert. Genau wie die beiden Frauen aus dem Irak ist sich die alleinerziehende Mutter über die Tragweite ihrer Arbeit bewusst – einer Arbeit, die nicht nur Leben schützt, sondern auch dazu beiträgt, dass Landwirte ihre Felder wieder bestellen oder Kaffee anbauen können. Dies trägt zur Ernährungssicherheit und der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung in den betroffenen Regionen bei. Die Heimatländer der Minenräumerinnen werden außerdem sicherer für zukünftige Generationen. Das bringt ihnen große Anerkennung ein, wie Jennifer sagt: „Die Menschen vor Ort haben großen Respekt vor unserem Einsatz.“
Finanzierung in Gefahr
Trotz der großen Bedeutung der humanitären Minenräumung bleibt ihre Finanzierung äußerst fragil — ein Umstand, der sich nach dem Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump und der Ankündigung der Kürzungen der US-Auslandshilfen seit Januar 2025 zeigte. Diese Entscheidung betraf auch zahlreiche von den USA (co-)finanzierte Minenräumungsprogramme. Bisher waren die USA mit Abstand der größte Geldgeber im Bereich der Minenräumung, insbesondere in Ländern wie Laos und Kambodscha, für deren Kontaminierung durch Landminen, Streubomben und andere Kampfmittel im Vietnamkrieg die USA mitverantwortlich sind. Aber auch in Kolumbien haben sich die USA bisher finanziell stark der Minenräumung engagiert.
Für einige US-finanzierte Programme wurden die Gelder zwar vorerst wieder freigegeben, wie es langfristig mit der Finanzierung aussieht, ist jedoch ungewiss. Einige Minenräumungsorganisation berichten, dass sie ihre Arbeit nur unter der Auflage fortführen konnten, jegliche Referenz zur Berücksichtigung von Diversität und Inklusion in ihren Projektanträgen zu entfernen.
Daher ist es umso wichtiger, dass eine neue deutsche Bundesregierung ihr finanzielles Engagement im Bereich der humanitären Minenräumung fortsetzt und sich entschieden für die globale Ächtung und Umsetzung der Landminen – und Streubomben-Verbotsverträge einsetzt.
Veronika Wies arbeitet als Junior Referentin Advocacy bei unserer Mitgliedsorganisation Handicap International.
Veronika Wies | ![]() |
Handicap International e.V. |