Mathias Mogge und Martina Schaub bilden gemeinsam den neuen Vorstandsvorsitz von VENRO. Im Interview erläutern sie die Vorteile einer Doppelspitze und werfen einen kritischen Blick auf die Stärken und Schwächen des Koalitionsvertrags.
Frau Schaub, Herr Mogge, die Mitgliederversammlung hat Sie mit großer Mehrheit zur neuen Doppelspitze von VENRO gewählt. Was haben Sie sich für die kommenden Jahre vorgenommen?
Martina Schaub: Zunächst möchte ich mich herzlich für das Vertrauen bedanken, das die Mitgliederversammlung Mathias Mogge und mir ausgesprochen hat. Ich freue mich, VENRO gemeinsam mit ihm als Vorsitzende in den kommenden zwei Jahren zu führen. Wir gehen bei VENRO mit der Doppelspitze einen neuen Weg, der den Verband noch schlagkräftiger machen wird. Mathias Mogge und ich können mit unseren jeweiligen Erfahrungen und Kompetenzen die Vielfalt in unserem Verband gut abbilden. Bereits während unserer bisherigen Zusammenarbeit im Vorstand haben wir festgestellt, dass wir uns in unserer Arbeit sehr gut ergänzen.
Mathias Mogge: Gemeinsam mit den übrigen Vorstandsmitgliedern wollen wir dazu beitragen, dass VENRO auch in Zukunft als starke Stimme für die Entwicklungszusammenarbeit und Humanitäre Hilfe in Deutschland wahrgenommen wird. Die Herausforderungen sind aktuell durch die Folgen der Corona-Pandemie noch größer geworden. Hunger, Armut und Ungleichheit haben massiv zugenommen. Bewaffnete Konflikte und der Klimawandel zerstören die Lebensgrundlagen vieler Menschen. Die neue Bundesregierung muss an zahlreichen Stellen entschieden umsteuern, um die Ziele der Agenda 2030 zu erreichen. Es gibt viele richtige Bekundungen im Koalitionsvertrag. Wir werden mit Nachdruck darauf hinwirken, dass diese tatsächlich umgesetzt werden.
Verspricht der Koalitionsvertrag Rückenwind für mehr globale Solidarität und internationale Zusammenarbeit?
Martina Schaub: Der Koalitionsvertrag enthält viele positive Aspekte und grundlegende Forderungen von VENRO. Die neue Regierung will den Klimaschutz ausbauen, die Krisenprävention und Humanitäre Hilfe stärken und auch mehr für die globale Geschlechtergerechtigkeit tun. Die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit sollen zumindest konstant bleiben. Wir sehen allerdings auch Defizite. So vermissen wir in Bezug auf die Afrikapolitik neue Ansätze, um eine Partnerschaft auf Augenhöhe zwischen Afrika und Europa zu verwirklichen. Und wie Mathias gesagt hat, werden wir auch kritisch beobachten, ob die Bundesregierung ihre Möglichkeiten nutzt, um Armut und Hunger weltweit besser zu bekämpfen.
Mathias Mogge: Ein weiteres Manko sehen wir darin, dass es versäumt wurde, eine kohärente Ausrichtung an den Nachhaltigkeitszielen für alle Ressorts zu verankern. Nach wie vor wird die Verantwortung für die Umsetzung der Agenda 2030 vorrangig im Entwicklungs- und Umweltministerium verortet. Die Bundesregierung kann es sich aber nicht länger leisten, die sozial-ökologische Transformation allein diesen Ministerien zuzuschieben. Auch die Bereiche Wirtschaft, Landwirtschaft, Verkehr und Handel müssen den Nachhaltigkeitszielen der Agenda 2030 folgen. Die Politik muss zudem noch stärker in interagierenden Systemen denken. Ein jährlicher Kohärenzbericht der gesamten Bundesregierung könnte dies befördern. Positiv hervorzuheben ist der Wille, die Vergabe und Förderrichtlinien von BMZ und Auswärtigem Amt zu vereinfachen. Dies ist überfällig, und wir hoffen, hier zügig über Vorschläge ins Gespräch zu kommen.
Auf dem diesjährigen VENRO-Forum haben sich die Mitgliedsorganisationen von VENRO den Lehren aus der Corona-Pandemie gewidmet. Was ist ihr Fazit?
Mathias Mogge: Die Corona-Pandemie hat uns nochmals unmissverständlich vor Augen geführt, wie wichtig die internationale Zusammenarbeit ist. Die besondere Stärke der zivilgesellschaftlichen Organisationen zeigte sich darin, dass sie den Menschen gerade zu Beginn der Krise schnell zur Seite stehen konnten. Trotz der Herausforderungen, die der Lockdown mit sich brachte, ist es unseren Mitgliedern gut gelungen, ihre Arbeit umzustellen und flexibel auf die Veränderungen zu reagieren.
Martina Schaub: Unsere Arbeit digital voranzutreiben, bleibt für uns eine Herausforderung für die Zukunft. Die Corona-Pandemie hat der Digitalisierung einen enormen Schub verliehen. Dadurch haben sich große Chancen für eine bessere Vernetzung mit unseren Partnerorganisationen eröffnet. Allerdings darf die Digitalisierung nicht dazu führen, dass Präsenzveranstaltungen oder auch Projektbesuche vor Ort aus Zeit- und Kostengründen künftig gänzlich wegrationalisiert werden. Der persönliche Kontakt bleibt der beste Weg, um voneinander zu lernen und einen Perspektivwechsel zu fördern.
Wichtig ist es vor allem auch, dass die Politik aus der Krise lernt und nicht alles so weitergeht wie zuvor. Mit den Mitteln, die jetzt zur Verfügung stehen, um die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie aufzufangen, muss sie die Transformation zu einem nachhaltigen und fairen internationalen Wirtschaftssystem voranbringen.
Interview |