Politik

Hürdenlauf nach Sevilla: Welche Konfliktlinien verbleiben auf der FfD4-Agenda?

Defizite bei der Entwicklungsfinanzierung gelten als Hauptgrund dafür, dass die Umsetzung der Agenda 2030 in Rückstand geraten ist. Die vierte Financing for Development-Konferenz in Spanien soll deshalb dringend notwendige Reformen der internationalen Finanzarchitektur vorantreiben. Doch seit der FfD4-Vorbereitungsprozess im Juli letzten Jahres begann, sind im Zuge der Trump-Präsidentschaft unerwartete Herausforderungen hinzugekommen. Bodo Ellmers, Programmleiter beim Global Policy Forum, gibt einen Überblick über die zentralen Konfliktpunkte, die in den einzelnen Handlungsfeldern noch zu überwinden sind.

Die Vierte Internationale Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung (FfD4) findet vom 30. Juni bis 3. Juli in Sevilla statt. Sie soll Reformen der internationalen Finanzarchitektur vorantreiben und damit auch die gewaltige Finanzierungslücke bei den nachhaltigen Entwicklungszielen der Agenda 2030 (SDG) füllen. Die vierte und letzte Sitzung des Vorbereitungskomitees Ende April bei den Vereinten Nationen (UN) in New York hat die verbleibenden Konfliktlinien offengelegt. Die informellen Verhandlungen in den nächsten Wochen versprechen spannend zu werden: Denn statt dem erhofften Endspurt steht ein Hürdenlauf bevor.

Defizite bei der Entwicklungsfinanzierung gelten als Hauptgrund dafür, dass die Umsetzung der Agenda 2030 in Rückstand geraten ist. Derzeit wird die Finanzierungslücke auf über 4 Billionen US-Dollar pro Jahr geschätzt. Verantwortlich dafür sind nicht zuletzt fehlende oder veraltete Institutionen in der internationalen Finanzarchitektur. Bereits im Vorlauf des UN-Zukunftsgipfels letztes Jahr nannte UN-Generalsekretär António Guterres das Institutionengefüge „dysfunktional, veraltet und ungerecht“ und wandte sich mit dem dringenden Appell zur Reform an die internationale Gemeinschaft. FfD4 ist einberufen worden, um sich dieser Aufgabe anzunehmen.

Neue Hindernisse nach der US-Wahl

Seit der FfD4-Vorbereitungsprozess begann – im Juli letzten Jahres symbolträchtig in Addis Abeba, wo 2015 die letzte Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung stattfand – sind allerdings unerwartete Herausforderungen hinzugekommen: Die neue US-Regierung von Donald Trump hat ihre öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (ODA) quasi über Nacht eingestellt und ankündigt, die US-Entwicklungsbehörde USAID zu zerschlagen. Im Schatten dieses Schocks haben auch die europäischen Geber massive ODA-Kürzungen angekündigt. Zudem droht der ebenfalls von der US-Regierung im Frühjahr ausgerufene Zollkrieg, fragile Entwicklungsländer überproportional hart zu treffen. Kurz vor Sevilla drohen so mit ODA und Exporteinnahmen zwei der wichtigsten Quellen der Entwicklungsfinanzierung parallel wegzubrechen. Die jüngsten Ereignisse haben auch gezeigt, wie fragil das regelbasierte multilaterale System in Wirklichkeit ist – eine wichtige Lektion für die kommende FfD-Konferenz, denn Regelsetzung ist eine ihrer Hauptaufgaben.

Bei den Verhandlungen in New York wurde nun offensichtlich, dass die Reaktion auf diese Schocks auf der Nord- und Südhalbkugel sehr unterschiedlich ausfallen. Die EU und viele ihrer Mitgliedstaaten vertreten die Ansicht, zum Ersatz für fehlende öffentliche Mittel müsste nun noch mehr im Bereich der Mobilisierung privater Finanzmittel getan werden. Regierungen des globalen Südens wollen dagegen Fortschritte insbesondere bei Steuern und Schulden sehen: Die internationale Steuerkooperation müsse gestärkt werden, um illegitime Finanzflüsse wirksam zu bekämpfen und dem Süden mehr Besteuerungsrechte einzuräumen. Dazu rückt die Schuldenthematik zunehmend ins Zentrum der Verhandlungen, und das aus gutem Grund.

Schuldenarchitektur als Knackpunkt der Verhandlungen

Die Verschuldung der Entwicklungsländer ist im Jahrzehnt seit Addis Abeba förmlich explodiert. Rapide angestiegene Zinszahlungen fressen die Staats- und Exporteinnahmen auf; mittlerweile leben mehr als drei Milliarden Menschen in Ländern, deren Regierungen mehr für den Schuldendienst ausgeben als für Bildung oder Gesundheit. Die Sprecherin der Afrikagruppe bei den Vereinten Nationen öffnete das UN Financing for Development Forum, das diesmal im Paket mit der letzten Sitzung des FfD4-Vorbereitungskommittees stattfand, mit einem plastischen und drastischen Vergleich: Mittlerweile müssen mehr als 90 Prozent der afrikanischen Länder einen höheren Anteil ihrer Exporteinnahmen für den Schuldendienst aufwenden als das Nachkriegsdeutschland nach den Konditionen des Londoner Schuldenabkommens von 1953. Ein maximaler Anteil von drei Prozent, der auch nur dann fällig wurde, wenn Deutschland Exportüberschüsse erzielte, wurde damals als Obergrenze des Möglichen angesehen, wenn ein Land wirtschaftlich auf die Beine kommen sollte. Das ist wohl immer noch so, was die afrikanische Misere erklärt: Das Schuldensystem, wie es von G20 und dem Internationalen Währungsfonds gestaltet wurde, macht Gläubiger reich und hält Entwicklungsländer arm.

Eine grundlegende Reform der Schuldenarchitektur gilt für viele als zentraler Verhandlungspunkt auf den letzten Meilen bis zum Gipfel in Sevilla. Auf der Forderungsliste der Entwicklungsländer stehen die Einrichtung einer Global Debt Authority und ein zwischenstaatlicher Prozess bei den Vereinten Nationen, der zu einem multilateralen Staateninsolvenzregime führen könnte. Der Prozess selbst ist auch im aktuellsten Verhandlungstext mandatiert , stieß allerdings bei Vertreter_innen des Nordens auf Widerstände – selbst bei den EU-Verhandlungsführer_innen, obwohl diese offiziell anerkennen, dass Fortschritte bei der Reform der Schuldenarchitektur zentrales Kriterium für den Erfolg von FfD4 sind.

Steiniger Weg nach Sevilla

Allerdings ist das Schuldenkapitel nicht der einzige Bereich, bei dem im derzeit schwierigen geopolitischen und ideologischen Umfeld noch Hürden zu überwinden sind. Hier ist ein kurzer Überblick über zentrale Konfliktpunkte in den einzelnen Handlungsfeldern:

Chapeau: Normalerweise ist das einleitende Chapeau eines UN-Abkommens unerheblich, weil unverbindlich und ohne operationelle Konsequenzen. Doch diesmal offenbart sich hier ein weiterer Schock: Für die neue US-Regierung sind selbst Begriffe wie „nachhaltige Entwicklung“, „Gender“ oder „Inklusion“ rote Tücher, die sie nicht im Ergebnisdokument erwähnt sehen will. Eigentlich gilt für die gesamte Weltgemeinschaft jedoch die Agenda 2030 in ihrer Gesamtheit weiterhin als die Leitlinie, an der sich FfD4 auszurichten hat. Auf den Fluren in New York haben einige deshalb die Hoffnung geäußert, dass die USA die FfD-Verhandlungen verlassen würden, wie sie es bereits beim parallel laufenden Prozess zur UN-Steuerkonvention getan haben. Ein stärkerer „Konsens minus eins“ sei einem schwächeren Trump-kompatiblen Ergebnis vorzuziehen, trotz der Bedeutung der USA in Finanzfragen.

Einheimische Ressourcen und Steuern: Im Jahr 2015 waren Steuern in Addis Abeba noch der Knackpunkt, jetzt wurde der FfD-Prozess durch die Verhandlungen zur UN-Steuerkonvention entlastet. Allerdings scheinen einige Akteure des Nordens die dort verhandelten Terms of Reference durch den FfD-Prozess aufweichen zu wollen. Dies stößt bei den G77 – der Verhandlungsgruppe der Entwicklungs- und Schwellenländer bei der UN – sowie insbesondere bei der Afrikagruppe und den Nichtregierungsorganisationen (NRO) auf Widerstand.

Kontrovers ist auch die Debatte um globale Steuern, die unter anderem durch die von Frankreich initiierte Global Solidarity Levies Task Force angestoßen wurde. Einige Entwicklungsländer fürchten, dass über global einheitlich angewandte Umweltsteuern das Prinzip der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung in der Klimafinanzierung unterwandert werden könnte. Der letzte Verhandlungstext enthält einige konkrete Innovationen zur Bekämpfung der Steuerflucht, die noch nicht bei allen Unterstützung genießen, zum Beispiel globale Register für Vermögende und deren wirtschaftlich Begünstigte.

Mobilisierung privater Investitionen: Dies scheint der derzeit am wenigsten kontroverse Bereich in den Verhandlungen zu sein, da der Norden hier einen Fokus setzt und der Süden die Notwendigkeit privater Investitionen anerkennt. Das Verhandlungsdokument sieht auch keine neuen internationalen Institutionen oder Abkommen vor, sondern enthält primär unverbindliche Leitlinien für multilaterale Entwicklungsbanken und Handlungsempfehlungen, die jeder Mitgliedstaat auch unilateral ergreifen könnte. Da das niemanden wirklich zu irgendwas verpflichtet, gibt es wenig Grund zum Widerspruch.

Handel und Exporteinnahmen: Seit Ausbruch des Zollkriegs ist dies wenig überraschend ein großes Thema. Hatte der Zero Draft noch Verbesserungen in Detailfragen des Handelssystems verfolgt, ging es nun bei der vierten Sitzung um eine Erneuerung des Bekenntnisses zum regelbasierten multilateralen Handelssystem an sich. Die USA haben sich in der Handels-Sitzung nicht geäußert.

Öffentliche Entwicklungsfinanzierung: Auch hier geht es bedingt durch die jüngsten Rückschläge um ein Neubekenntnis zu den ODA-Zielen, primär zum 0,7%-Ziel für die „alten“ Geberländer. Gab es zu Beginn der Verhandlungen noch Hoffnung, dass Sevilla zu einer Revitalisierung der Aid Effectiveness Agenda werden könne, geht es nun primär darum, ODA in nennenswerter Quantität zu retten. Verhandelt wird auch über die Reform des ODA-Reporting, zum Beispiel zur Herausnahme der Flüchtlingskosten, um die Integrität der ODA-Berichterstattung zu verbessern und mehr Anreize für tatsächliche Transfers in den Süden zu schaffen.

Brisantes Politikum beim FfD-Forum: Weil außer dem EU-Kommissar für Entwicklung, Jozef Síkela, kaum hochrangige Vertreter_innen aus dem Norden da waren, und Síkela gemäß der EU-Präferenzen das Podium zu privaten Investitionen gewählt hatte, wurde das Podium zur Revitalisierung der Entwicklungszusammenarbeit durch Katar und Russland besetzt. Eine Provokation für die alten Geber, und eine Folge dessen, dass sie die traditionelle Entwicklungszusammenarbeit vernachlässigt haben.

Systemische Fragen: Priorität für die G77 bleibt weiterhin, dass FfD4 zum Meilenstein bei der Reform der internationalen Finanzarchitektur wird. Dies gilt insbesondere für die Governance-Reform ihrer zentralen Institutionen – dem Internationalen Währungsfonds und der Weltbank – und ihrer Finanzierungsinstrumente, die neben verschiedenen Kreditfazilitäten auch die IWF-Sonderziehungsrechte umfassen. Reformunwille Länder – insbesondere die an Besitzstandwahrung interessierten USA aber auch die Europäer – versuchen, dies abzublocken, in dem sie der UN das Recht absprechen, hier Entscheidungen zu fällen. Dies sei Aufgabe der eigenen Entscheidungsgremien von IWF und Weltbank, in denen die alten Mächte seither die Mehrheit haben und überfällige Reformen seit Jahrzehnten blockieren: Denn während bei den Vereinten Nationen andere Mehrheiten entstehen können, weil das Prinzip der Staatengleichheit gilt (ein Land – eine Stimme), besitzen reichere Länder bei IWF und Weltbank mehr Stimmrechte.

Konsens oder Koalition der Willigen?

Stimmrechte könnten auf der letzten Etappe bis Sevilla noch eine Rolle spielen. Bislang wurden alle Ergebnisdokumente der UN-Konferenzen zur Entwicklungsfinanzierung im Konsens verabschiedet, angefangen vom Monterrey Consensus 2002, der Doha Declaration 2008 und schließlich der Addis Abeba Action Agenda im Jahr 2015. Die Sevilla-Konferenz könnte erstmals in einer Kampfabstimmung enden, bei der eine Zweidrittelmehrheit der 193 UN-Mitglieder benötigt werden würde. Die allgemeine Erwartung ist, dass zumindest die G77 und die EU sich als konstruktive Stützen der multilateralen Ordnung im Allgemeinen und der Agenda 2030 im Besonderen zeigen werden. Die Vereinbarung eines neuen, den aktuellen Bedürfnissen entsprechenden, globalen Finanzierungsrahmens gehört dabei natürlich unbedingt dazu. Mit den Stimmen dieser beiden Gruppen wäre die Mehrheit gesichert. Sich hinter Trump zu verstecken, ist also für die Europäer keine Option.


Dieser Artikel ist Teil unserer Blogreihe zur Vierten Internationalen Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung (FfD4), die vom 30. Juni bis 3. Juli in Sevilla stattfindet und dringend notwendige Reformen der internationalen Finanzarchitektur vorantreiben soll.


Bodo Ellmers ist Direktor des Programmbereichs Finanzierung für nachhaltige Entwicklung beim Global Policy Forum in Berlin und Brüssel.

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