Vom 08. bis 14. August fand in Montreal das Weltsozialforum statt. In diesem Rahmen wurden auch die Istanbul-Prinzipien diskutiert, die 2010 von der internationalen Zivilgesellschaft in der türkischen Metropole verabschiedet wurden. Sie dienen als Referenzrahmen entwicklungspolitischer NRO für wirksame, zeitgemäße Entwicklungszusammenarbeit und umfassen u.a. Menschenrechte, Geschlechtergerechtigkeit, Partizipation und Transparenz.
Während des Weltsozialforums wurden die insgesamt acht Prinzipien auf dem Side-Event „The Istanbul Principles Five Years After – Civil Society Development Effectiveness and Accountability in a changing landscape“ mit Kolleginnen und Kollegen anderer zivilgesellschaftlichen Organisationen unter die Lupe genommen. Stellvertretend für VENRO nahm auch ich an diesem Workshop teil.
Ziel der Veranstaltung war es, den Prozess der Istanbul-Prinzipien seit ihrem Bestehen mit internationalen Partnern der Zivilgesellschaft zu reflektieren. Organisiert wurde der Workshop vom internationalen Netzwerk „CSO Partnership for Development Effectiveness (CPDE)“, das sich für die Umsetzung der Istanbul-Prinzipien stark macht.
Das gut gelaunte Chaos des Weltsozialforums
Der Workshop fand am 11. August in einem der weit verstreuten Universitätsgebäude Montreals, in denen das Weltsozialforum dieses Jahr seine Veranstaltungen organisiert hatte, statt. Erst beim dritten Versuch fand ich das richtige Gebäude. Dies spiegelte gut das allgemeine, wenngleich „gut gelaunte“ Chaos wider, das auch andere Teilnehmer des Weltsozialforums bestätigten: Einige Workshop-Teilnehmende fanden beispielsweise erst zum Ende der Veranstaltung den entsprechenden Raum.
Von der anfänglichen Orientierungslosigkeit abgesehen, stellte sich das CPDE-Netzwerk als kompetenter Partner heraus: Der Workshop umfasste eine Reihe von internationalen Rednerinnen und Rednern, die die Umsetzung der Istanbul-Prinzipien rückblickend kritisch reflektierten. Drei Themen wurden dabei besonders ins Visier genommen: Zivilgesellschaftliche Identität, „Shrinking Space“ und Rechenschaft.
„Wir sind die Istanbul-Prinzipien.“
Antonio Tujan, zivilgesellschaftlicher Vertreter während des vierten High Level Forums in Busan, brachte die Beziehung der Zivilgesellschaft zu den Istanbul-Prinzipien auf den Punkt: „Die Istanbul-Prinzipien sind kein Ziel, das wir als Zivilgesellschaft anstreben. Es geht darum wie wir Dinge tun und wer wir sind. Wir sind die Istanbul-Prinzipien.“ Konsens bestand unter den Teilnehmenden darüber, dass entwicklungspolitische NRO nicht erst seit den Istanbul-Prinzipien diese in ihrer Projektarbeit anwenden. Vielmehr seien dies Good-Practice-Standards, die von der Mehrzahl der NRO ohnehin praktiziert würden – ob sie die Istanbul-Prinzipien kennen oder nicht. Gleichzeitig müssten die Istanbul-Prinzipien als Instrument stärker verbreitet werden, um Wirksamkeit und Rechenschaft als wichtige Themen in der nicht-staatlichen Entwicklungszusammenarbeit zu positionieren.
“Shrinking Space” wird zum “Closing Space“
Es ging auf dem Workshop auch um “Shrinking Space“ – also den immer kleineren Raum, in dem sich zivilgesellschaftliche Organisationen in der Entwicklungszusammenarbeit bewegen. Ob im Süden oder im Norden, “Shrinking Space” sei ein weltweites Problem, so Maina Kiai, UN-Sonderberichterstatter für friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit. Er proklamierte in seiner Rede, dass er inzwischen von „Closing Space“ spreche: „Shrinking Space wird zunehmend zu einem `sich schließenden Raum`.“ Dies sei nicht nur ein Problem des Südens. Alle Länder seien betroffen. Repressive Methoden unterschieden sich von Land zu Land. Eine übliche Taktik sei die Inhaftierung von politisch anders Gesinnten. Aber auch die steigenden Attentate auf Aktivistinnen und Aktivisten seien ein Zeichen für den sich abzeichnenden “Closing Space”.
Es müsse eine Lösung für dieses Problem erarbeitet werden. Laut Maina Kiai muss sich die internationale Zivilgesellschaft dieser neuen Herausforderungen stellen. Dabei könne man von anderen erfolgreichen sozialen Bewegungen lernen, beispielweise von der LBGT-Bewegung, die im letzten Jahrzehnt große Erfolge erreichen konnte. Denn dieser „sich schließende Raum“ bedrohe die Arbeit von NRO weltweit.
Rechenschaft für unsere Zielgruppen ist ebenso wichtig wie für unsere Geber
Als ein weiteres Istanbul-Prinzip stand das Thema Rechenschaft auf der Tagesordnung. NRO professionalisierten ihre finanzielle und inhaltliche Berichterstattung zunehmend gegenüber ihren Gebern. Dabei werde die eigentliche Zielgruppe oft hinten angestellt. Die Teilnehmenden waren sich einig, dass es bei „Accountability“ nicht nur um die Rechenschaft für die Geber gehe. NRO sollten vielmehr darauf achten, Rechenschaft für die Begünstigten ihrer Projekte abzulegen. Hier sei noch viel zu tun – Arbeit, die sich aber lohne. Denn die Menschen hätten ein Recht zu erfahren, was mit den Mitteln für sie geschieht. Hier ist das passende Stichwort „Partizipation“ – ein weiteres Istanbul-Prinzip. Denn Teil einer modernen Entwicklungszusammenarbeit ist es, die lokalen Gemeinschaften an der Planung und Umsetzung der für sie gedachten Projekte teilhaben zu lassen.
Selbsteinschätzung mit Hilfe des NRO-Selbsttest
Abschließend stellte das CPDE-Netzwerk den neuen Selbsttest für CSOs (auf Englisch) zu den Istanbul-Prinzipien vor. Dieser hilft entwicklungspolitischen NRO bei der Überprüfung, inwieweit sie die Istanbul-Prinzipien schon anwenden – auch im anonymisierten Vergleich zu anderen Organisationen.
VENRO befasst sich ebenfalls intensiv mit den Themen Wirksamkeit, Rechenschaft und Transparenz, zu denen es einzelne Arbeitsgruppen gibt. Die neue VENRO-Fortbildungsreihe unseres Projekts „Partnerschaft für Qualität und Wirksamkeit“ zielt beispielsweise auf eine verbesserte Wirksamkeit entwicklungspolitischer NRO-Arbeit ab. Seit September ist auch ein NRO-Selbsttest online verfügbar.
Diesen Blog-Beitrag finden Sie auch in englischer Übersetzung im CPDE-Bulletin.
Lili Krause | VENRO |