Es kommt Bewegung in die deutsche Nachhaltigkeitspolitik:
Am 31. Mai 2016 wurde der Entwurf zur Neuauflage der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie (NHS) vorgelegt und auf der Jahreskonferenz des Rates für Nachhaltige Entwicklung von Bundeskanzlerin Angela Merkel vorgestellt. Die NHS stellt aus Sicht der Bundesregierung das zentrale Instrument zur Umsetzung der Agenda 2030 und ihrer 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDG) in und durch Deutschland dar. Die zweimonatige Frist zur Kommentierung des Entwurfs wurde auch von VENRO genutzt, um zusammen mit zehn weiteren zivilgesellschaftlichen Netzwerken und Verbänden gemeinsam Position zum Entwurf zu beziehen und einen umfassenden und verbindlichen Umsetzungsplan zur Agenda 2030 einzufordern. Die gemeinsame Stellungnahme ist dem Bundeskanzleramt bereits zugegangen.
VENRO und die weiteren Netzwerke begrüßen in der Stellungnahme grundsätzlich die Ausrichtung der NHS an der Agenda 2030, die seit Beginn 2016 den neuen Rahmen der Nachhaltigkeitspolitik auf UN-Ebene darstellt. Die SDG sollen den Weg hin zu einer umfassenden sozial-ökologischen Transformation weisen, der von allen Mitgliedsstaaten beschritten und gefestigt werden soll. Die NHS soll die Umsetzung in und durch Deutschland sicherstellen. Sie wird deshalb entlang der 17 UN-Nachhaltigkeitsziele strukturiert sein und diesen nationale und internationale Indikatoren zuordnen. Etwa 60 Indikatoren beinhaltet der Entwurf für die Neufassung – 13 davon beziehen sich auf die internationalen Auswirkungen deutscher Politik in den Bereichen Klimapolitik, Verbesserung von Lebensbedingungen sowie die nachhaltigere Gestaltung von Konsum und Produktion.
Grundsatzfragen der Nachhaltigkeit werden vernachlässigt
Hinsichtlich einiger zentraler Aspekte sehen die zivilgesellschaftlichen Verbände und Netzwerke im Entwurf erheblichen Verbesserungsbedarf. Sie stellen fest, dass Grundsatzfragen sowie die globale Dimension der Nachhaltigkeit nicht ausreichend berücksichtigt werden und das konsequente Hinterfragen des Wachstumsparadigmas ausbleibt. Die Kritik der Zivilgesellschaft bezieht sich dabei besonders auf die folgenden Punkte:
- fehlende Kohärenz,
- Schwach- und Leerstellen bei den Indikatoren,
- Vernachlässigung des Grundsatzes „Leave no one behind“
- sowie die fehlende Verankerung der zivilgesellschaftlichen Partizipation.
Im Entwurf der NHS werden ausgerechnet jene Politikbereiche, die die Lebensbedingungen von Menschen sowohl in Deutschland als auch im globalen Süden negativ beeinflussen – etwa Handels-, Sicherheits- und Rüstungsexport- sowie Migrations- und Agrarpolitik – nicht kritisch reflektiert und so von einer konsequenten Verantwortungsübernahme entbunden. Bislang sind keine Indikatoren oder Ziele ausformuliert, die zur Überwindung der Missstände in den genannten Bereichen dienen könnten. In der gemeinsamen Stellungnahme stehen VENRO und die weiteren Netzwerke deshalb für die Verankerung eines Kohärenzprinzips in der Nachhaltigkeitsstrategie sowie eine Verpflichtung aller Ressorts zur regelmäßigen Kohärenz-Berichterstattung ein.
In einigen der elementarsten Sektoren – etwa in den Bereichen Armut, Hunger, Bildung, Gesundheit und soziale Ungleichheit – sind des Weiteren im gegenwärtigen Entwurf keine internationalen Indikatoren benannt. An anderen Punkten gehen Indikatoren an den tatsächlich existierenden Missständen vorbei oder verweisen auf die grundlegenden Widersprüchlichkeiten deutschen Regierungshandelns. In der Konsequenz setzen sich die vertretenen zivilgesellschaftlichen Akteure in der gemeinsamen Stellungnahme für eine direkte Adressierung der Problembereiche deutscher Politik sowie das Abbilden der internationalen Dimension jedes einzelnen der 17 SDG mithilfe der Indikatoren ein.
Es bedarf einer Intensivierung des Dialogs mit der Zivilgesellschaft
Weiterhin wird nach Ansicht der zivilgesellschaftlichen Verbände dem leitenden Prinzip der Agenda 2030 „Leave no one behind“ in der NHS nicht ausreichend Rechnung getragen. Um sicherzustellen, dass alle Menschen und vor allem die am stärksten benachteiligten Gruppen von den angestrebten Verbesserungen profitieren, fordern sie deshalb die Formulierung expliziter Maßnahmen, die vor allem die ärmsten und marginalisierten Bevölkerungsgruppen erreichen. Außerdem sollten die zur Überprüfung der Umsetzung erhobenen Daten nach relevanten Merkmalen (z.B. Alter, Geschlecht, sozioökonomischer Status, Ethnie) disaggregiert werden, sodass unterschiedliche Auswirkungen für verschiedene Gruppen nicht in einem gesamten Ergebnis untergehen.
Um weiterhin und in Zukunft noch stärker in die deutsche Nachhaltigkeitspolitik eingebunden zu sein, fordern die zivilgesellschaftlichen Netzwerke und Verbände abschließend eine Stärkung der bisherigen Nachhaltigkeitsarchitektur sowie eine Intensivierung und Institutionalisierung des Dialogs mit der Zivilgesellschaft.
Es kommt Bewegung in die deutsche Nachhaltigkeitspolitik. Aber es bleibt noch viel zu tun.
Weitere VENRO-Stellungnahmen zur NHS:
Neben der übergreifenden Stellungnahme der Netzwerke und Verbände wurden im Rahmen der Verbandstätigkeit von VENRO weitere thematische Positionen zum Entwurf der Nachhaltigkeitsstrategie verfasst (Gender, Finanzierung, Inklusion, Gesundheit).
Mit diesem Beitrag zur Weiterentwicklung der zentralen nationalen Struktur zur Nachhaltigkeitspolitik in Deutschland appellieren wir im Sinne der Menschenrechte, der sozialen und ökologischen Gerechtigkeit an die Politik und rufen dabei die Interessen all jener in Erinnerung, die von den aktuell existierenden Strukturen benachteiligt oder gar ausgeschlossen werden.
Zusätzliche Informationen zur Agenda 2030, der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie und der zivilgesellschaftlichen Rezeption finden Sie außerdem unter folgenden Links:
VENRO:
http://venro.org/uploads/tx_igpublikationen/ZG_Partizipation_01.pdf
http://venro.org/uploads/tx_igpublikationen/Standpunkt_2030-Agenda.pdf
Bundesregierung:
https://www.bundesregierung.de/Webs/Breg/DE/Themen/Nachhaltigkeitsstrategie/_node.html
Vereinte Nationen:
https://sustainabledevelopment.un.org/
Julia Kolbinger | Eine Welt Forum Freiburg |