Politik

Entwicklungsfinanzierung: Die EU muss deutlich mehr tun

Die Europawahl am 26. Mai 2019 spielt für für die Umsetzung der Agenda 2030 und die Förderung nachhaltiger Entwicklung eine wichtige Rolle. Ob Armutsbekämpfung, die Ausgestaltung einer gerechten Handelspolitik oder Klimaschutz – all diese Ziele müssen von der Europäischen Union auch in der kommenden Legislaturperiode konsequent verfolgt werden. Unsere Erwartungen an die künftigen Mitglieder des Europäischen Parlaments haben wir in unserem Positionspapier zur Europawahl formuliert. Daran anknüpfend legen wir in einer Serie von Blogartikeln unsere Forderungen für ein nachhaltiges, faires und solidarisches Europa dar.


Ändert das System, nicht das Klima!“, so das Motto auf einem der handgeschriebenen Transparente auf der wöchentlichen Fridays for Future-Demonstration im Berliner Invalidenpark, in Sichtweite des Wirtschafts- und des Verkehrsministeriums. Es ist ein eindringlicher Weckruf der Jugend und der Wissenschaft an die politisch Verantwortlichen, der derzeit durch Europa hallt. Ändert Eure Politik, und ändert damit auch das System, das diese Gesellschaft finanziert. Denn trotz der Warnungen investieren Banken und institutionelle Anleger in Deutschland und der Europäischen Union (EU) weiterhin Milliarden in fossile Wirtschaftszweige, anstatt schnell und radikal eine ökologisch und sozial nachhaltige Finanzwende einzuleiten. Der fehlende politische Wille verhindert nicht nur die notwendigen radikalen CO2-Emmissionssenkungen bis 2030, sondern gefährdet auch die Umsetzung der Agenda 2030 mit ihren globalen Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDG).

Eins ist den Schüler_innen und Jugendlichen, einige davon erstmals wahlberechtigt, in vielen EU-Staaten klar: Ein Wechsel zu einer nachhaltigen und zukunftsfähigen Wirtschaft wird nicht ohne den Wandel hin zu einem nachhaltigen Finanzsystem gelingen. Denn bislang berücksichtigt nur ein geringer Anteil der privaten Investoren sowie der privaten und institutionellen Finanzmarktakteure systematisch Aspekte nachhaltiger Entwicklung in ihren Kerntätigkeiten. Es ist daher dringend notwendig, dass für Unternehmen und die Finanzwirtschaft, aber auch die öffentliche Hand, verbindliche Regelungen zur Einhaltung grundlegender Nachhaltigkeitsstandards für Investitionen und ihre Geschäftstätigkeiten erlassen werden. Dazu zählen die Einhaltung der Menschenrechte sowie sozialer und ökologischer Mindeststandards, Transparenz und gute Unternehmensführung, die Vermeidung von Korruption sowie eine nachhaltige Schuldentragfähigkeit.

Und das gilt auch für die Finanzierung nachhaltiger Entwicklung in Entwicklungs- und Schwellenländern. Bereits vor Jahrzehnten haben sich die EU und ihre Mitgliedsstaaten verpflichtet, 0,7 Prozent ihres Bruttonationaleinkommens (BNE) für Entwicklungszusammenarbeit und davon wiederum 0,15 bis 0,2 Prozent des BNE für die am meisten von Armut betroffenen Länder (Least Developed Countries, LDC) aufzuwenden. In der Realität bleibt dies leider ein unerfülltes Versprechen: Im Jahr 2017 entsprach die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (ODA) der EU und ihrer Mitgliedsstaaten zusammen nur 0,50 Prozent des EU-BNE. Auch bei der öffentlichen Unterstützung der am meisten von Armut betroffenen Länder sah es nicht viel besser aus: Die Quote lag im Jahr 2016 bei 0,11 Prozent des BNE der EU.

Mindestens drei Richtungsentscheidungen sind notwendig

Die Finanzierung nachhaltiger Entwicklung erfolgt unter anderem über ODA-Beiträge der EU-Mitgliedsstaaten und über Steuereinnahmen der Partnerländer, insbesondere durch die Unternehmensbesteuerung. Die Enthüllungen zu den Steuerhinterziehungstricks europäischer Unternehmen zeigen vor allem eins: In diesen Bereichen muss die EU deutlich mehr tun.

Denn die Einnahmen aus der Besteuerung europäischer Unternehmen in Entwicklungsländern sind eine wesentliche Grundlage für die Bereitstellung staatlicher Dienstleistungen für Bildung und Gesundheit. Statt durch falsche Anreize Steuervermeidung durch Unternehmen zu fördern, muss die EU künftig dafür sorgen, dass Unternehmen, die mithilfe von EU-Mitteln Investitionen in Partnerländern tätigen, dort auch Steuern für ihre erwirtschafteten Gewinne zahlen. Die EU und ihre Mitgliedsstaaten tragen eine Mitverantwortung für leere öffentliche Kassen im Globalen Süden, weil sie Steuervermeidung und Steuerwettbewerb nicht wirksam bekämpfen. Entwicklungsländern fehlen dadurch Mittel für die Armutsbekämpfung.

Am 26. Mai 2019 wählen wir ein neues Europäisches Parlament. Damit stimmen wir auch über die Richtung ab, in die wir mit einer ökologisch und sozial nachhaltigen Finanzwende gehen wollen. Von den Parteien im Europäischen Parlament erwarten wir deshalb – ganz im Sinne der Fridays for Future-Demonstrant_innen – nach den EU-Wahlen wenigstens drei Richtungsentscheidungen:

  1. Die EU muss ihrem Versprechen Taten folgen lassen, endlich 0,7 Prozent des BNE für die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit bereitzustellen.
  2. Europäische Unternehmen müssen in den Ländern im Globalen Süden Steuern zahlen, in denen sie ihre Gewinne erwirtschaften.
  3. Europäische Unternehmen und die Finanzwirtschaft müssen Regeln zur Einhaltung von verbindlichen Nachhaltigkeits- und Menschenrechtsstandards folgen.

Dr. Klaus Schilder ist Sprecher der VENRO-AG Globale Strukturpolitik und Referent für Verantwortliches Wirtschaften bei unserer Mitgliedsorganisation MISEREOR.