Die größten und profitabelsten Konzerne zahlen heute die niedrigsten Steuern und verschieben einen großen Teil ihrer Gewinne in Steueroasen. Gleichzeitig könnte eine gerechtere Besteuerung jährlich hunderte Milliarden Euro Mehreinnahmen generieren und damit die Finanzierungslücke zur Erreichung der SDG schließen. Bisherige Reformversuche sind gescheitert – auf der kommenden FfD-Konferenz in Sevilla könnten die Staaten der Problemlösung nun aber einen großen Schritt näher kommen.
Bereits seit mehr als hundert Jahren gibt es Steueroasen. Durch das Wachstum von multinationalen Großkonzernen und die aggressive Gewinnverschiebung der mächtigen US-amerikanischen Digitalkonzerne hat der durch sie angerichtete Schaden in den letzten 30 Jahren aber eine neue Dimension angenommen. Spätestens seit der Finanzkrise im Jahr 2008 steht die Reform der internationalen Unternehmensbesteuerung wegen hoher Defizite weit oben auf der politischen Agenda. Am Kern des Problems hat sich seitdem aber nur wenig geändert: Die größten und profitabelsten Konzerne zahlen auch heute noch die niedrigsten Steuern und verschieben einen Großteil ihrer Gewinne weiterhin in Steueroasen. Eine gerechte Besteuerung der 200 größten und profitabelsten Konzerne könnte weltweit Mehreinnahmen von mehr als 500 Milliarden Euro bringen und damit die Finanzierungslücke zur Erreichung der nachhaltigen Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals, SDG) schließen. Nachdem die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) an der Lösung gescheitert ist und die US-Regierung die Interessen der US-Großkonzerne offen mit dem Nationalinteresse gleichsetzt, bleibt vor allem die Hoffnung auf die Vereinten Nationen (UN) und nationale Alleingänge.
Wie groß ist der Schaden?
Schätzungen zufolge landeten 2023 etwa 20 Prozent der Gewinne von multinationalen Konzernen (etwa 1.000 Milliarden Euro) in Steueroasen. Dadurch entstand im Vergleich zu den geltenden Steuersätzen in den Quellenländern ein Schaden von 150 bis 200 Milliarden Euro. Die Möglichkeit, auf Steueroasen auszuweichen, hat zusätzlich für einen globalen Unterbietungswettbewerb bei den Steuersätzen auf Unternehmensgewinne und bei Steuergeschenken als Investitionsanreize gesorgt. Würde man die Übergewinne, die große Konzerne dank ihrer Marktmacht, ihrer Patente und ihrer Ausbeutung von Ressourcen erwirtschaften, gerecht besteuern, könnte dies allein von den 200 größten und profitabelsten Konzernen Mehreinnahmen von etwa 500 Milliarden Euro pro Jahr einbringen.
Was bisher passiert ist
Im Auftrag der G20-Finanzminister hat die OECD zwei umfassende Reformpakete vorgelegt. Mehr als 100 Staaten haben sich im sogenannten Inclusive Framework zu deren Umsetzung verpflichtet. Allerdings haben beide Pakete die Komplexität der internationalen Unternehmensbesteuerung weiter erhöht, ohne das grundlegende Problem zu lösen. Ob die Reformen letztlich umgesetzt werden, ist nicht erst seit dem Amtsantritt von Donald Trump fraglich.
Reformpaket 1: Einigung auf länderbezogene Berichterstattung (2015)
Ein zentraler Fortschritt der Reformbemühungen war die Einführung des „Country-by-Country Reporting“. In diesen Berichten müssen große multinationale Konzerne ab dem Geschäftsjahr 2016 ihre Umsätze, Gewinne, Mitarbeiterzahlen und Steuerzahlungen für jedes Land offenlegen, in dem sie tätig sind. So wird Gewinnverschiebung besser sichtbar. Die OECD hält diese Berichte allerdings bis heute unter Verschluss. In der Europäischen Union (EU) soll ab 2025 zumindest ein Teil der Berichte öffentlich werden.
Reformpaket 2: Einigung auf eine globale Mindeststeuer (2021)
Die länderbezogene Berichterstattung gilt vorübergehend auch als Grundlage für den zweiten großen Fortschritt – die globale Mindeststeuer von 15 Prozent. Bereits 2017 hatte Donald Trump eine Mindeststeuer auf Auslandsgewinne großer US-Konzerne eingeführt, gleichzeitig aber die Möglichkeit geschaffen, diese Auslandsgewinne zu besonders günstigen Konditionen in die USA zu verschieben. Die seit 2024 in der EU gültige Mindeststeuer nach OECD-Vorbild ist deutlich strikter und verpflichtet vor allem auch die US-Konzerne, sich an diese Regeln zu halten. Deswegen drohte Trump kurz nach seinem Amtsantritt mit Strafmaßnahmen und Anfang Mai sah es so aus, als könnte sich die EU diesem Druck beugen.
Auch in Deutschland mehreren sich die Stimmen, die Steuer wieder abzuschaffen, bevor sie richtig wirken kann. Kritiker bemängeln – zurecht –, dass die OECD-Regeln kompliziert sind und dass die Mehreinnahmen fast ausschließlich in Steueroasen wie Irland oder der Schweiz anfallen, die wiederum mit den Einnahmen und neuen Sonderregeln für neuen Steuerwettbewerb sorgen. Das größte Problem an der Mindeststeuer ist jedoch ein anderes: Sie ermöglicht den größten und profitabelsten Konzernen weiterhin Steuersätze von 15 Prozent und damit einen unfairen Wettbewerbsvorteil gegenüber ihrer Konkurrenz, die im Schnitt etwa 25 Prozent Steuern zahlt. Eine gerechtere Verteilung der Besteuerungsrechte für die großen Digitalkonzerne ist komplett gescheitert.
Wie es weitergehen könnte
Auch wenn einige Finanzministerien in den großen Industriestaaten es nach wie vor ungern zugeben: Die OECD ist als Standardsetzer für eine gerechte internationale Unternehmensbesteuerung gescheitert. Deswegen steht die Welt aktuell vor zwei Alternativen.
- Nationale Alleingänge
Ende 2024 ist die Vereinbarung der Teilnehmer des Inclusive Framework, in der Hoffnung auf eine globale Einigung auf nationale Alleingänge zu verzichten, ausgelaufen. Die u.a. von Frankreich und Indien eingeführten Sondersteuern für große Digitalkonzerne hat erst den nötigen Druck für eine globale Einigung erzeugt. Während Frankreich die Steuer reaktiviert hat und bisher gegen den Druck der Trump-Regierung verteidigt, hat Indien die Steuer vor kurzem als Zugeständnis an die neue US-Regierung gestrichen. Eine Koalition aus EU, Kanada und anderen willigen Staaten könnte diesem Druck deutlich mehr entgegensetzen. Allerdings würden die derzeitig diskutierten Steuersätze von drei bis fünf Prozent nicht für eine gerechte Besteuerung reichen. Aus rein ökonomischer Sicht spricht einiges dafür, die Übergewinne der großen Konzerne vollständig – also mit Steuersätzen von bis zu 100 Prozent – abzuschöpfen. Rein theoretisch wäre das auch im nationalen Alleingang möglich, z.B. nach dem Vorbild der französischen Digitalsteuer.
- Multilaterale Lösung
Nach dem Scheitern der OECD liegt die Hoffnung jetzt auf der UN. Im Februar 2025 sind in New York die Verhandlungen über eine UN-Steuerrahmenkonvention gestartet. Dem Vorbild und dem Aufruf der US-Regierung, diese Verhandlungen zu verlassen, ist bisher kaum ein Land gefolgt. Ganz oben auf der Agenda steht neben einer inklusiveren Governance-Struktur nach wie vor die gerechte Besteuerung von grenzüberschreitenden digitalen Dienstleistungen. Im Juni findet in Sevilla die Konferenz für Finanzierung von nachhaltiger Entwicklung (Financing for Development, FfD) statt. Mit einem Plädoyer für eine gerechte Unternehmensbesteuerung könnten die Staaten dort ein deutliches Zeichen setzen und der Problemlösung einen großen Schritt näher kommen.
Eine Koalition der Willigen zur Rettung der Demokratie und der Menschheit
Wenn es für einen globalen Konsens nicht reichen sollte, ist die FfD-Konferenz ein gutes Forum für den Start einer Koalition der Willigen. Eine gerechtere Besteuerung von Milliardär_innen und internationale Steuern auf Finanztransaktionen oder internationalen Flugverkehr sowie der Kampf gegen illegitime Finanzflüsse könnten die gerechte Unternehmensbesteuerung ergänzen, aber nicht ersetzen. Nachhaltige Entwicklung kann nur gelingen, wenn die größten und profitabelsten Konzerne und ihre Eigentümer einen gerechten Beitrag dazu leisten. Wenn es den demokratischen Staaten der Welt nicht gelingt, 200 Großkonzerne und 3.000 Milliardär_innen gerecht zu besteuern, hat die Demokratie schon verloren.
Weitere Informationen zum Thema sind unter https://www.netzwerk-steuergerechtigkeit.de/infothek/steuern_und_entwicklung/ abrufbar.
Dieser Artikel ist Teil unserer Blogreihe zur Vierten Internationalen Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung (FfD4), die vom 30. Juni bis 3. Juli in Sevilla stattfindet und dringend notwendige Reformen der internationalen Finanzarchitektur vorantreiben soll.
Christoph Trautvetter ist Koordinator und wissenschaftlicher Referent des Netzwerks Steuergerechtigkeit.
Christoph Trautvetter | ![]() |
Netzwerk Steuergerechtigkeit |
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