Der Austausch mit Partner_innen aus dem Globalen Süden bietet Bildungsexpert_innen viele neue Möglichkeiten. Gleichzeitig bringt die internationale Zusammenarbeit aber auch Herausforderungen mit sich – etwa durch Sprachbarrieren, Zeitverschiebungen und insbesondere durch ungleiche Machtverhältnisse. In einer neuen Publikation gibt VENRO Orientierungspunkte, um sich durch das komplexe Feld der globalen Bildungsarbeit zu navigieren.
Die internationale Zusammenarbeit mit Organisationen, Partner_innen und Akteur_innen aus dem Globalen Süden ist für die meisten der VENRO-Mitgliedsorganisationen Alltag. Die Inlands- und Bildungsarbeit ist davon manchmal ein wenig abgeschottet. In großen entwicklungspolitischen Organisationen sind die Inlandsbildungsarbeit und die Auslandsprojektarbeit oft in verschiedenen Bereichen organisiert. In kleineren Vereinen, die sich auf Bildungsarbeit konzentrieren, fehlen manchmal die Verbindungen zu internationalen Partner_innen. Diese Trennung von Inlands- und Auslandsarbeit drückt sich auch in der Logik staatlicher Fördertitel aus.
Trotzdem wird es auch im Diskurs unter Praktiker_innen der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit als immer wichtiger wahrgenommen, international mit Expert_innen aus dem Globalen Süden zusammenzuarbeiten, indem gemeinsam Projekte umgesetzt, Bildungsangebote gestaltet, oder Bildungspartnerschaften gegründet werden. Nicht zuletzt postkoloniale Diskurse und die Bemühungen um eine Dekolonialisierung der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit haben das Bewusstsein gestärkt, dass Bildungspraktiker_innen in ihren Angeboten in Deutschland nicht mehr länger über die Lebenssituationen von Menschen im Globalen Süden informieren sollten, ohne dass Expert_innen selbst zu Wort kommen oder Bildungsangebote gemeinsam entwickelt werden. Der Austausch mit Bildungsexpert_innen aus dem Globalen Süden ist auch ein zentraler Schlüssel, um neue Bildungskonzepte kennenzulernen und die eigenen (eingefahrenen) Wahrnehmungen von Lernen und Bildung zu reflektieren.
Machtasymmetrien können die Zusammenarbeit gefährden
Aber die internationale Zusammenarbeit zwischen Bildungspraktiker_innen bringt auch Herausforderungen mit sich. Diese können ganz praktischer Natur sein, wie Sprachbarrieren, Zeitverschiebungen, oder technische Probleme, die die Kommunikation erschweren. Sie können aber auch tiefer gehen. Ähnlich wie in der klassischen Auslandsprojektarbeit spielen auch bei der internationalen Zusammenarbeit von Bildungspraktiker_innen global ungleiche Machtverhältnisse eine große Rolle. Dadurch entstehen Machtasymmetrien zwischen Bildungspartner_innen, die sich beispielsweise im ungleichen Zugang oder Entscheidungsmacht über Projektfinanzen ausdrücken und die Zusammenarbeit gefährden können.
VENRO hat sich in den letzten zwei Jahren vertieft mit dem Spannungsfeld der internationalen Zusammenarbeit zwischen Bildungspraktiker_innen beschäftigt. Auf Grundlage einer Umfrage und eines Austausch-Seminars mit internationalen Bildungspraktiker_innen, wurde die Handreichung „An einem Strang ziehen: wie wir in der Bildung für nachhaltige Entwicklung machtkritisch international zusammenarbeiten können“ erarbeitet, die in englischer und deutscher Sprache verfügbar ist. Die Erstellung der Publikation wurde von Bildungsexpert_innen aus dem Globalen Süden als critical friends begleitet.
Zehn Orientierungspunkte für machtkritische Zusammenarbeit
Die Publikation stellt Chancen und Herausforderungen internationaler Zusammenarbeit im Kontext entwicklungspolitischer Bildung dar und widmet sich der Frage, was Bildungspraktiker_innen tun können, um sich durch das komplexe Feld internationaler Zusammenarbeit zu navigieren. Zugrunde liegt der Handreichung die Annahme, dass unsere globale Bildungsarbeit in einem durch Macht- und Ungleichverhältnisse geprägten Rahmen stattfindet, der unser globales Bildungs- und Wissenssystem prägt. Mit diesen Verhältnissen müssen sich Bildungspraktiker_innen auseinandersetzen, wenn ihre Bildungsarbeit zu einem Abbau dieser Machtstrukturen und zu mehr globaler Gerechtigkeit beitragen soll.
Die Handreichung stellt zehn Orientierungspunkte vor, die Bildungspraktiker_innen dafür nutzen können, ihre Zusammenarbeit mit internationalen Partner_innen machtkritischer zu gestalten. Die Orientierungspunkte sind nicht dazu gedacht, alle Probleme mit globalen Machtverhältnissen zu lösen, die Bildungspraktiker_innen in internationalen Arbeitssettings begegnen können. Sie sind kein Geheimrezept, das garantiert zu gänzlich hierarchiefreien Kooperationsstrukturen führt. Sie können aber Impulse geben, mit welchen Fragen, sich Bildungspraktiker_innen beschäftigen können, wenn sie versuchen wollen, ihre Zusammenarbeit möglichst gleichberechtigt zu gestalten.
Dieser Artikel wurde in ähnlicher Form zuerst in der Zeitschrift für internationale Bildungsforschung und Entwicklungspädagogik (ZEP) veröffentlicht.
Lara Fedorchenko | VENRO |