Politik

„Die Dringlichkeit des Themas ist überdeutlich“

Ein „weiter so“ reicht nicht aus: Antimikrobielle Resistenzen (AMR) bedrohen das Leben von Mensch und Tier genauso wie die Umwelt. Im Interview erklärt Peter Wiessner vom Aktionsbündnis gegen AIDS, was die Ursachen von AMR ist, wer betroffen ist und wie die Resistenzen weltweit wirksam verringert werden können.

Wie entstehen AMR in Ländern im Globalen Süden?

Die Entstehungsursachen von AMR sind im globalen Süden die gleichen wie im Norden: unsachgemäßer Einsatz von Antibiotika und fehlendes Wissen, wie Resistenzen entstehen. Im globalen Diskurs werden fehlende Kontrolle und Regulierung oft als „Beschleuniger“ benannt – als ob bereits alles gelöst wäre, wenn Vergabe, Einsatz und Einnahme von Antibiotika besser kontrolliert würden! Mit meiner Erfahrung in der Patient_innenschulung weiß ich, dass die Aufklärung über Anwendung und Einnahmedauer von Antibiotika wichtig sind. „Kontrolle“ mag gut sein, „Einsicht“ ist wesentlich besser! Oft setzten Menschen Antibiotika wieder ab, sobald sich die ersten Besserungen zeigen. Resistenzen werde dadurch regelrecht gezüchtet. Im HIV-Bereich sagen wir, dass die Adhärenz (Einnahmetreue) gefördert werden muss. Ohne Aufklärung geht die Förderung von Einsicht nicht.

Gleichwohl gibt es in vielen Ländern des Globalen Südens auch Besonderheiten: Antibiotika sind oft leicht zugänglich und ohne Rezept erhältlich, was zu übermäßigem und unsachgemäßem Gebrauch führt. Schwache Gesundheitssysteme fördern die suboptimale Anwendung von Antibiotika, da Patienten oft keine korrekten Diagnosen oder Behandlungen erhalten. Oft werden Antibiotika auch genommen, weil wirksame andere Medikamente entweder zu teuer oder gar nicht erst erhältlich sind. Dazu kommen mangelnde Hygiene und sanitäre Bedingungen, die die Verbreitung von Infektionskrankheiten fördern, was den Bedarf und oft den Missbrauch von Antibiotika erhöht. Das ist ein gefährlicher Kreislauf, der unterbrochen werden muss. In den Empfehlungen der zivilgesellschaftlichen Civil7 legen wir den Wert auf einen holistischen Ansatz und die Berücksichtigung sich überschneidender Faktoren wie Klimawandel, Wohnsituation, Alterung, Zugang zu sauberem Wasser und sanitären Einrichtungen. Ich bin hier bei weitem nicht auf alle Punkte eingegangen, die zu erwähnen wären. Das Thema ist komplex, einfache Antworten gibt’s leider nicht.   

Wer ist besonders betroffen und warum?

Von antimikrobiellen Resistenzen betroffen sind allen voran Menschen mit chronischen Krankheiten oder geschwächtem Immunsystem. Zur ersten Gruppe sind das in meinem Arbeitsbereich vor allem Menschen mit HIV und Tuberkulose (TB). Eine HIV/TB Co-Infektion stellt für Menschen mit HIV global gesehen die Haupttodesursache dar. Eine multiresistente Tuberkulose stellt an Behandlung und Adhärenz – auch wegen der Nebenwirkungsprofile existierender Medikamente – große Herausforderungen dar. Weitere Risikogruppen sind Menschen, deren Immunsystem entweder noch nicht ausgereift oder minimiert ist. Ersteres trifft auf Kinder zu, letzteres bspw. auf Schwangere, deren Immunsystem heruntergefahren ist, sodass das Fötus nicht als fremd erkannt und abgestoßen wird. Im Alter lässt die Kompetenz des Immunsystems nach, weshalb auch ältere Menschen zu den Risikogruppen zählen. Darüber hinaus sind vor allem auch Menschen gefährdet, die immunsupprimierende Medikamente erhalten – sei es nach einer Operation, um Abstoßungsreaktionen zu vermeiden, oder bspw. während einer Krebsbehandlung. Da resistente Keime in Krankenhäusern übertragen werden können, tragen Patient_innen und das Gesundheitspersonal ebenfalls erhöhte Risiken.

Welchen Beitrag leistet Entwicklungspolitik, um die Wirksamkeit von Antibiotika zu bewahren?

Die Entwicklungspolitik kann bei den Bestrebungen, die Wirksamkeit von Antibiotika zu bewahren, eine wesentliche Rolle spielen. Ich erinnere mich sehr gut an den wunderbaren Heiko Warnken aus dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), der bereits vor zehn Jahren auf den ONE Health-Ansatz hingewiesen hat. Ich war damals neu in dem Arbeitsfeld. Das war für mich etwas Unbekanntes. Heute ist der ONE Health-Ansatz (zumindest auf dem Papier) beinahe Mainstream.

Die Entwicklungspolitik fördert die Gesundheitsinfrastruktur, etwa durch Verbesserung der medizinischen Versorgung, der Hygienestandards und durch den Aufbau von Laboratorien zur Überwachung und Diagnose von Infektionen. Ebenso wichtig sind, wie bereits oben angedeutet, die Ausbildung und Sensibilisierung von Gesundheitsfachkräften in den Kliniken, aber auch der Primary Health Care Workers vor Ort. Die Communities hier mit einzubeziehen, ist sicher eine gute Idee.

Ohne die weitere Förderung der Gesundheits- und der Community Systeme (HSS) wird sich hier kein Blumentopf gewinnen lassen. Die Förderung des Globalen Fonds durch das BMZ ist in diesem Kontext überaus begrüßenswert. Zwischen 2021 und 2023 wurden durch den Globalen Fonds mit 1,5 Milliarden US-Dollar pro Jahr Programme in diesem Bereich umgesetzt.

Es ist gut, dass die Bundesregierung die globale AMR-Partnerschaft (GARDP) unterstützt und sich dabei auf die Entwicklung neuer Antibiotika sowie auf die Verbesserung des Zugangs zu bereits bestehenden konzertiert. Darüber hinaus muss es darum gehen, dass neue Medikamente für Länder mit niedrigem Einkommen (Low Income Countries, LIC) sowie für Lower middle income countries (LMIC) zu erschwinglichen Preisen verfügbar gemacht werden. In unserer VENRO-Stellungnahme „Antimikrobielle Resistenzen weltweit wirksam verringern“ verweisen wir hier vor allem auf die Ausschöpfung der TRIPS-Flexibilitäten, auf die Prinzipien der Transparenz bei Forschung und Preisfestsetzung sowie auf das Grundprinzip des public return of public investment.

Es wäre wünschenswert, wenn die Bundesregierung hier etwas progressiver agierte und auf die Erfahrungen existierender Einrichtungen, wie bspw. des Medicines Patent Pool oder Unitaid, zurückgreift.

Was muss die UN-Staatengemeinschaft tun, um diese Bemühungen zu unterstützen?

Natürlich warten wir alle auf das Hochrangige Treffen der Vereinten Nationen zu AMR im September 2024 und auf die Abschlusserklärung, die dann hoffentlich all die Punkte berücksichtigt, die wir in unserer Stellungnahme festgehalten haben – inklusive konkreter finanzieller Zusagen, einer Roadmap und klar definierte Marker zur Messung des Erfolgs geplanter Vorhaben. Die Dringlichkeit des Themas ist überdeutlich und es ist auch klar, dass die gesundheitsbezogenen Entwicklungsziele mit einem einfachen „weiter so!“ nicht erreicht werden können.

Das scheinen auch die G7-Staatenlenker_innen verstanden zu haben: „Wir sind nach wie vor zutiefst besorgt über die antimikrobielle Resistenz (AMR) und andere gesundheitliche Herausforderungen, die durch die dreifache planetarische Krise des Klimawandels, des Verlusts der biologischen Vielfalt und der Umweltverschmutzung noch verschärft werden, auch in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Im Vorfeld des hochrangigen Treffens der Generalversammlung der Vereinten Nationen zum Thema AMR im September 2024 werden wir ein ehrgeiziges Abschlussdokument unterstützen, das die Bedürfnisse von Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen in den Vordergrund stellt und konkrete Ziele und Vorgaben enthält, die neben dem Mandat für ein evidenzbasiertes Gremium, das die Maßnahmen zum Thema AMR weiter vorantreiben soll, zum Handeln anregen“, heißt es im Apulia G7 Leaders Communiqué, dem Abschlussdokument des diesjährigen G7-Gipfels. Das geht runter wie Wasser und man kann nur hoffen, dass nun auch geliefert wird!

Die Finanzierung der Erforschung neuer Antibiotika, Diagnostika und alternativer Therapien durch internationale Kooperationen und Anreizsysteme ist entscheidend. Klar definierte Vorschriften für den Einsatz von Antibiotika in der Human- und Tiermedizin sollten harmonisiert und durchgesetzt werden, begleitet von Aufklärungskampagnen zur Sensibilisierung für die richtige Anwendung von Antibiotika.

Eines ist sicher: Entwicklungsländer benötigen weiterhin finanzielle Unterstützung für den Aufbau von Gesundheitsinfrastrukturen und Laborkapazitäten. Das ist eine Frage der Solidarität und des Menschenrechts auf Gesundheit, aber auch eine Investition in die Zukunft, die uns alle angeht.


Lesen Sie hier die aktuelle VENRO-Stellungnahme zum Thema: „Antimikrobielle Resistenzen weltweit wirksam verringern: Empfehlungen für den Entwurf einer politischen Erklärung des Hochrangigen Treffens der Vereinten Nationen zu antimikrobiellen Resistenzen am 26. September 2024″