Politik

Bundeshaushalt 2025: Was bedeutet eine auskömmliche Finanzierung humanitärer Hilfe?

Nach den drastischen Kürzungsplänen der Bundesregierung in der humanitären Hilfe ist ein überparteilicher Konsens zum Wert der humanitären Hilfe wichtiger denn je. Gleichzeitig gibt der humanitäre Sektor zu Beginn des parlamentarischen Haushaltsverfahrens auf eine vermeintlich einfache, politisch aber zentrale Frage noch keine befriedigende Antwort.

„Wir werden zukünftig eine auskömmliche Finanzierung der humanitären Hilfe und Krisenprävention sicherstellen.“

Dieser Satz aus dem Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD ist nur drei Monaten nach Veröffentlichung bereits denkbar schlecht gealtert. Mit den im Kabinettsbeschluss zum Bundeshaushalt 2025 verankerten Kürzungen – über 53 Prozent in der humanitären Hilfe, knapp 30 Prozent in der Übergangshilfe und mehr als 18 Prozent in der Krisenprävention und Stabilisierung – reiht sich die Bundesregierung in die lange Liste von Geberstaaten ein, die ihr Engagement drastisch zurückfahren. Auch das im Koalitionsvertrag angekündigte Ziel, „ein stärkeres Engagement nach dem Ausfall anderer Geber in wichtigen Bereichen“ zu prüfen, rückt mit diesem Etat in weite Ferne.

Im nunmehr dritten Kürzungsjahr in Folge ist es für humanitäre Organisationen zur Routine geworden, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um geplante Einschnitte im parlamentarischen Haushaltsverfahren zu verhindern oder zumindest abzumildern. Sie führen Gespräche mit Bundestagsabgeordneten, organisieren Parlamentarische Frühstücke und veröffentlichen Analysen und Berechnungen zu den operativen Auswirkungen der Kürzungen auf Menschen in akuter Not – in der Hoffnung, dass am Ende der Bereinigungssitzung doch noch ein Rettungsanker für den Etat gefunden wird.

Doch eine zentrale Frage, die politische Entscheidungsträger_innen immer häufiger stellen, bleibt bislang unbeantwortet: Wie viel Geld braucht das humanitäre System konkret von der Bundesregierung, um Menschen in schwerster Not wirksam zu erreichen? Oder in den Worten des Koalitionsvertrags: Was bedeutet auskömmlich?

Die deutsche humanitäre Hilfe wird niemals auskömmlich sein

Zunächst sollte anerkannt werden, dass der Begriff „auskömmlich“ grundsätzlich ungeeignet ist, um die Lücke zwischen humanitären Bedarfen und verfügbaren Mitteln zu beschreiben. Es gibt kein Maß an menschlichem Leid, mit dem wir „auskommen“, uns arrangieren könnten. Humanitäre Organisationen werden sich nie damit abfinden, dass Millionen von Menschen in akuter Not keine Hilfe erhalten.

Gleichzeitig hat sich die Anzahl genau dieser Menschen in den vergangenen Monaten drastisch erhöht. Die Kürzungen wichtiger Geberstaaten wie den USA, Großbritannien und den Niederlanden werden realistischerweise nicht vollständig durch Deutschland ausgeglichen werden können. Schon gar nicht, wenn auch die Bundesregierung gemäß ihrem Haushaltsentwurf ihr Engagement so stark reduziert. Die deutsche Finanzierung humanitärer Hilfe wird also per Definition nicht „auskömmlich“ sein.

Über Zielmarken, Sockelbeträge und Prozent-Ziele

Bislang fehlt es an einer gesellschaftlichen und politischen Zielmarke, wie viel humanitäre Hilfe Deutschland leisten sollte, auf Grundlage einer prinzipienbasierten und bedarfsgerechten Hilfe für Menschen in Not, aber auch zur außenpolitischen Profilierung entlang dieser Werte.

Derartige Zielmarken werden häufig in Relation zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) oder Bruttonationaleinkommen (BNE) bemessen. Welche Wirkmacht das entsprechende NATO-Ziel für Verteidigungsausgaben entfaltet, wenn es einen entsprechenden gesellschaftlichen und politischen Diskurs gibt, bekommen wir aktuell in beeindruckendem Maße vor Augen geführt. Gleichzeitig erleben wir, dass das international vereinbarte Ziel, mindestens 0,7 Prozent des BNE für Official Development Assistance (ODA) auszugeben, mitnichten ein Garant für stabile Etats ist.

Ob derartige Prozentziele auf die humanitäre Hilfe übertragbar sind, bleibt offen. Dass die Reaktion des humanitären Systems auf bestehende und neu auftretende Krisen vom Wirtschaftswachstum wichtiger Geberstaaten im jeweiligen Jahr abhängen sollte, wirkt für eine bedarfsorientierte humanitäre Hilfe zunächst wenig plausibel. Nichtsdestotrotz würde ein nachvollziehbarer Orientierungswert es politischen Entscheidungsträger_innen erleichtern, verantwortungsvolle Haushaltsentscheidungen für die deutsche humanitäre Hilfe zu treffen.

Plädoyer für einen systemischen Ansatz

Wer eine bedarfsorientierte humanitäre Hilfe fordert, sollte diese Logik auch auf Haushaltsfragen anwenden – mit einer klaren Vorstellung davon, welche Bedarfe global in welcher Intensität bestehen und welchen Anteil davon Deutschland tragen sollte. Den bislang besten Näherungswert für die globale humanitäre Bedarfslage liefert uns der Global Humanitarian Overview der Vereinten Nationen. Auch wenn die Aussagekraft der Bedarfszahlen aufgrund veränderter Berechnungsgrundlagen zunehmend schwankt, bleibt er das umfassendste verfügbare Lagebild.

Die Priorisierung der humanitären Bedarfe ist eine weitere Hürde zur Ermittlung einer gerechten Aufteilung der Finanzierung. Denn wie soll man das Leid der einen gegen das der anderen abwägen? Und doch wird im Hyper-prioritized Global Humanitarian Overview 2025 genau dies von den Vereinten Nationen bereitgestellt, entlang der Schwere und der Dringlichkeit humanitärer Not. Darin werden die finanziellen Bedarfe eines bereits extrem priorisierten humanitären Systems klar benannt – sie liegen für 2025 bei 29,1 Milliarden US-Dollar.

Zur Frage nach einem fairen Finanzierungsanteil der Bundesregierung am humanitären System lohnt ein Blick in die Vergangenheit. Der Beitrag Deutschlands zum globalen humanitären System lag in den vergangenen 10 Jahren im Durchschnitt bei 10,48 Prozent – im ersten Jahr nach den pandemie-bedingten Spitzenjahren aber noch vor den jüngsten Kürzungen lag der Beitrag 2023 mit 10,6 Prozent auf einem ähnlichen Niveau.

Jeder zehnte Dollar im humanitären System

Wenn wir gesellschaftlich und politisch einen Konsens herstellen können, dass Deutschland jeden zehnten US-Dollar der drängendsten humanitären Bedarfe deckt – und somit seiner Verantwortung als eine der reichsten Industrienationen der Erde gerecht wird – wäre viel gewonnen in puncto Planbarkeit, Verlässlichkeit und außenpolitischer Signalwirkung gegenüber anderen humanitäre Geberstaaten.

Die Bundesregierung hätte eine deutlich stärkere diplomatische Grundlage, um etablierte Geber von drastischen Kürzungen abzuraten und neue humanitäre Geber für das System zu gewinnen – und damit die finanziellen Kosten auf mehr Schultern zu verteilen als in der Vergangenheit.

Nach dieser Logik läge der angemessene deutsche Anteil im Jahr 2025 bei rund 2,9 Milliarden US-Dollar bzw. 2,47 Milliarden Euro. Das bedeutet keineswegs, dass Deutschland „die ganze Welt rettet“, wie es in populistischen Abwertungen zur internationalen Zusammenarbeit gern behauptet wird. Aber ein derartiges politisches und finanzielles Bekenntnis könnte dazu beitragen, das humanitäre System zu stabilisieren, und damit ein Stück Menschlichkeit in den Krisen dieser Welt bewahren.


Lukas Zechner ist Referent für humanitäre Grundsatzfragen, Partnerschaften und Lokalisierung bei unserer Mitgliedsorganisation Help – Hilfe zur Selbsthilfe.

Die Inhalte auf dem VENRO-Blog geben Meinungen und Einschätzungen unserer Autor_innen wieder. Sie können von abgestimmten VENRO-Positionen abweichen.