Politik

Countdown zum Global Disability Summit: Zwischen Lust und Frust

Mit dem Global Disability Summit in Berlin wollte die Bundesregierung die weltweite Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in der Entwicklungspolitik voranbringen. Doch wenige Tage vor der Eröffnung des Gipfels ist klar, dass nur ein kleiner Teil der anvisierten Ziele erreicht werden kann: Die angekündigte Abschlussdeklaration ist leider nur ein Konsenspapier, ohne Selbstverpflichtung oder Rechenschaftspflicht – sehr zur Enttäuschung von Zivilgesellschaft und Menschen mit Behinderungen.

1,3 Milliarden Menschen weltweit, das entspricht ca. 15 Prozent der Weltbevölkerung, haben eine körperliche und/oder kognitive Behinderung. Obwohl für diese vulnerable Gruppe bereits seit 2008 die UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) rechtlich bindend gilt, hapert es an der Umsetzung. Nach 2018 in London und 2022 in Oslo (aufgrund der Corona-Pandemie online) stellt die internationale Staatengemeinschaft und beteiligte Stakeholder mit dem Global Disability Summit in Berlin erst zum dritten Mal die Fortschritte einer inklusiven internationalen Zusammenarbeit auf den Prüfstand.

Bei der Eröffnungsveranstaltung zwischen dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und der Zivilgesellschaft wurde der Summit noch als „Schaufensterveranstaltung der Bundesregierung“ gepriesen. Geplant war, ein verbindliches, überprüfbares und langfristig belastbares Dokument zu erarbeiten, das die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen weltweit entscheidend verbessern sollte.

An Engagement hat es den Co-Organisatoren aus dem BMZ sowie der jordanischen Regierung und der International Disability Alliance (IDA, als zivilgesellschaftliche Gastgebende) sicher nicht gemangelt – dennoch bleibt der Draft der geplanten Abschlusserklärung hinter den Erwartungen zurück.

Regionalkonferenzen setzen im Vorfeld die Arbeitsschwerpunkte

Zur Vorbereitung auf den GDS wurden sechs Regionalkonferenzen vorgeschaltet, um die Bedarfe in den jeweiligen Regionen herauszuarbeiten.

Den Auftakt machte die afrikanische Konferenz in Nairobi, deren Schwerpunkte auf dem Zugang zu Gesundheitssystemen, der Einbindung auf den Arbeitsmarkt sowie auf inklusiver Bildung lagen. Das Multi-Regionaltreffen arabischer Staaten in Amman zeigte wiederum auf, wie schwierig es ist, im arabischen Raum überhaupt eine gemeinsame Definition für Menschen mit Behinderungen zu finden. Dies wurde als Empfehlung und Arbeitsauftrag an die Mitglieder des Golfkooperationsrates (GCC) weitergeleitet.

Die europäische Regionalkonferenz in Berlin diskutierte insbesondere die Artikel 11 (Gefahrensituationen und humanitäre Notfälle) und 32 (Internationale Zusammenarbeit) der BRK und wurde durch den Ukrainekrieg überlagert. Die Diskussionen in Bangkok (Asiatischer Regionalgipfel) und Rio de Janeiro (Lateinamerikanischer Gipfel) konzentrierten sich wiederum auf inklusive Bildung, Klimamaßnahmen und Katastrophenvorsorge, menschenwürdige Beschäftigung und Sozialschutz.

Eine ausführliche Zusammenfassung aller Regionalkonferenzen inklusive der Outcome-Dokumente ist hier abrufbar.

Inklusion soll finanziell stärker gefördert werden

Allen Konferenzen gemein war, dass eine verbesserte Datenerfassung gefordert wurde. Zwar steht das Thema auch abseits des GDS regelmäßig auf der Agenda internationaler Konferenzen, aber passiert ist in den vergangenen Jahren wenig.

Es wäre also bei den breit gefächerten unterschiedlichen Arbeitsschwerpunkten der Regionalkonferenzen einfach gewesen, den Fragenkatalog der Washingtoner City Group, mit dem bereits automatisch Daten erhoben werden, konkret zu stärken und eine verbesserte Datenerfassung dort einzufordern. Dies wurde jedoch in der Abschlusserklärung versäumt – es bleibt bei der in internationalen Abkommen üblichen Erklärung, „die Bemühungen zur Datenerfassung zu stärken“.

Positiv ist hingegen hervorzuheben, dass die Forderung 15 Prozent für die 15 Prozent in die Deklaration mit eingeflossen ist. Dahinter verbirgt sich der Ansatz, dass bis 2028 mindestens 15 Prozent der internationalen Entwicklungsprogramme auf Länderebene ausdrücklich die Inklusion von Menschen mit Behinderungen zum Ziel haben sollen.

Zwar ist dies ein guter Ansatz, aber es wird nicht darauf eingegangen, wie der Prozess begleitet, überwacht und eingefordert werden soll, respektive welche Mechanismen greifen, wenn das Ziel nicht erreicht wird. Ob hier auf dem GDS nachgesteuert werden kann, bleibt zweifelhaft. Eingefordert wird dies sicher über die OPDs (Organisation for People with Disabilities) als Selbstvertretungsorganisationen und weitere Stakeholder aus der Zivilgesellschaft. Was im Vorfeld des GDS hierzu von unseren Partnerländern gespiegelt wird, stimmt uns jedoch wenig zuversichtlich, da die internationale Staatengemeinschaft andere Themen, wie z.B. die nach wie vor veritable multilaterale Krise internationalen Finanzierungslücken, priorisiert.

Aussetzung der Finanzmittel trifft Partner hart

Direkt betroffen sind die Partnerländer zudem durch die Suspendierung der Fördergelder von USAID. Laut einer Befragung der HelpAge-Partnerorganisationen, insbesondere in Afrika, haben diese nur unzureichende Rücklagen bilden können, sodass ihre weitere Arbeit nur für die nächsten vier bis sechs Monate gesichert ist. Auch im deutschen Kontext wirft das Fragen auf.

Denn wenn Partnerorganisationen ihre Arbeit  einstellen müssen, hat das auch direkte Auswirkungen auf die Projekte, die von deutschen institutionellen Geldgebern finanziert werden – und deren Umsetzung nachfolgend dann in Frage gestellt wird. Bei der aktuellen politischen Lage in Deutschland wird dann von interessierter Seite die Frage in den Raum gestellt, was entwicklungspolitische Zusammenarbeit überhaupt bewirkt.

Dies ist eine Diskussion, die wir derzeit sicher nicht brauchen. Denn dahinter verschwinden dann die speziellen Bedarfe von Menschen mit Behinderungen. Schon jetzt ist zu befürchten, dass die neue Bundesregierung das Thema Entwicklungspolitik und humanitäre Hilfe in ihren Verhandlungen nur nachrangig behandeln und Inklusion innerhalb dieser Themen unterfinanziert bleiben wird.

Verhaltene internationale Resonanz im Vorfeld des Gipfels

Zudem besteht die große Gefahr, dass sich die Ansätze der Trump-Administration, wie etwa das geplante Wording (siehe hier das Glossar von zu vermeidenden Worten) auch international Anklang oder Nachahmung findet. Das würde bedeuten, dass Begriffe wie“ Disability“, „Inclusion“ oder „Discrimination“ verschwinden und dadurch zwangsläufig Menschen mit Behinderungen Gefahr laufen, weiter marginalisiert und unsichtbar zu werden. Diese aktuellen Entwicklungen sollten auf dem Prüfstand des GDS stehen und das Programm entsprechend angepasst werden.

Viel wird vom Erfolg der Veranstaltung abhängen, welche Stakeholder überhaupt nach Berlin reisen werden und welche Präsenz die Bundesregierung dort zeigen wird. International ist die Resonanz im Vorfeld des Gipfels eher verhalten. Die Veranstalter hatten Staaten sowie multilaterale und zivilgesellschaftliche Organisationen dazu aufgefordert, Selbstverpflichtungen (sog. Committments) für mehr Inklusion von Menschen mit Behinderungen abzugeben. Waren beim letzten GDS 2022 in Norwegen noch über 1.400 Selbstverpflichtungen eingegangen, sind es bisher nur wenige hundert. Über die Gründe zu spekulieren, führt nicht weiter – wichtiger ist die Qualität der Committments. Dennoch unterstreicht die geringe Zahl der eingesendeten Selbstverpflichtungen, dass die Inklusion von Menschen mit Behinderungen kein Arbeitsschwerpunkt der Regierungen ist und sich auch die Zivilgesellschaft, OPDs, Akademia und Menschenrechtsinstitute zurückhalten. Auf der Zielgeraden zum GDS muss daher unsere Advocacyarbeit noch weiter verstärkt werden.*

Was bleibt?

Allem Frust aufgrund der organisatorischen Mängel in der Vorbereitung des Gipfels zum Trotz dürfen wir nicht die Lust daran verlieren, für die Rechte von Menschen mit Behinderungen zu streiten. Der Global Disability Summit ist eine Riesenchance, die Inklusion von Menschen mit Behinderungen und deren vollumfängliche Teilhabe in der Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Hilfe einzufordern, den weiteren Weg zu ebnen und die Finanzierung internationaler Zusammenarbeit nachhaltig zu gestalten.

*Committments können immer noch niedrigschwellig eingereicht werden. Der Link dazu ist hier hinterlegt.


Dr. Jürgen Focke ist Leiter der Stabsstelle Policy & Advocacy bei unserer Mitgliedsorganisation HelpAge und Sprecher der VENRO-Arbeitsgruppe Behinderung.