Der European Regional Disability Summit förderte den Austausch von europäischen und zentralasiatischen Behindertenverbänden. Mit Blick auf den Global Disability Summit 2025 fehlten jedoch konkrete Empfehlungen, um die inklusive internationale Zusammenarbeit zu schärfen.
Als Vorbereitung auf den im April 2025 stattfindenden Global Disability Summit (GDS) hat in Berlin am 6. Dezember der European Regional Disability Summit stattgefunden, ausgerichtet vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales, dem Europäischen Behindertenforum und dem Deutschen Behindertenrat. Ziel dieses Treffens war es, die internationale Zusammenarbeit zu stärken und die regionsspezifische Bedeutung einer inklusiven internationalen Zusammenarbeit sowie humanitärer Maßnahmen zu schärfen. Daraus sollten sogenannte Committments für den kommenden Global Disability Summit formuliert werden.
Rund 500 Teilnehmende aus Europa und Zentralasien diskutierten den Stand der Umsetzung und Überwachung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UNBRK); im Fokus standen insbesondere die Artikel 11 (Gefahrensituationen und humanitäre Notfälle) und 32 (Internationale Zusammenarbeit). Die Konferenz war geprägt von einem inklusiven Veranstaltungsmanagement, viele zivilgesellschaftliche Selbstvertretungsorganisationen von Menschen mit Behinderungen (Organisations of Persons with disabilities, OPDs) waren vor Ort.
Bei der letzten UN-Staatenprüfung zur Umsetzung der UNBRK im Jahr 2023 wurde der Bundesregierung bescheinigt, dass deren Umsetzung erhebliche Lücken aufweist – verbunden mit der Aufforderung, diese zu schließen. Mit Blick darauf unterstrich Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Soziales, in seiner Eröffnungsrede auf dem European Disability Summit, dass die Neufassung des längst überfälligen „Behindertengleichstellungsgesetzes“ 2025 unbedingt umgesetzt werden müsse.
Situation in der Ukraine stand im Mittelpunkt
Der Schwerpunkt der Regionalkonferenz sollte zwar eigentlich auf den Bedarfen von Menschen mit Behinderungen in Europa und Zentralasien für eine erfolgreiche Inklusion gelegen haben, konzentrierte sich jedoch schnell auf die Situation in der Ukraine. Entsprechend stark waren auf den Panels ukrainische Verbände und Organisationen vertreten. Eindringlich schilderten sie die aktuelle Situation von den Betroffenen vor dem Kriegswinter und diskutierten über benötigte Sofort-Hilfen. Insbesondere würden die Bedarfe an psychosozialer Unterstützung nicht annähernd abgedeckt; so fehle es an therapeutischen Einrichtungen, aber insbesondere auch an medizinisch und psychologisch geschultem Personal. Besonders die extremen Herausforderungen für Menschen mit Behinderungen auf der Flucht vor Krieg oder Katastrophen wurden geschildert.
Eine angemessene Finanzierung scheitert für diese vulnerable Gruppe auch häufig daran, dass kognitive Behinderungen nicht immer „augenscheinlich“ sind und deshalb von der Gesellschaft – aber auch von internationalen, institutionellen Geldgebern – eher unterschwellig wahrgenommen werden und daher keine Priorität genießen.
Inklusion von Menschen mit Behinderungen wird weiter vernachlässigt
Ein weltweites, nicht nur europäisches oder zentralasiatisches, Problem ist die mangelnde Datenerfassung. Dies wurde in nahezu jedem Panel herausgearbeitet. Dass eine bessere Aufbereitung von Daten Partizipation und Teilnahme signifikant verbessern würde, ist unstrittig und nicht zuletzt auch eines der Unterziele der Nachhaltigkeitsagenda 2030 (vgl. SDG 17.18 und 17.19). Warum jedoch seit 2015 hieran nicht intensiver gearbeitet wurde, um die Datenlage zu verbessern, blieb auf der Veranstaltung unbeantwortet.
Dabei sind die Meta-Daten eindeutig, wie Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze in ihrer Keynote hervorhob. Sie mahnte an, dass Menschen mit Behinderungen aus der „betreuten Arbeit“ in den offenen Arbeitsmarkt integriert werden müssten. Damit würden die rund 1,7 Milliarden Menschen mit Behinderungen das Bruttonationaleinkommen in ihren Ländern um sieben Prozent steigern.
Wie wichtig es ist, die verschränkten Diskriminierungen zu bekämpfen, die besonders Frauen und Mädchen mit Behinderungen erleben, unterstrich Sara Rocha, Vizevorsitzende des Frauenausschusses des Europäischen Behindertenforums. Im Rahmen der feministischen Entwicklungspolitik wird Intersektionalität zwar oft erwähnt, es bleibt aber noch viel zu tun. Denn Frauen mit Behinderungen sind um ein Vielfaches mehr von geschlechtsspezifischer und behindertenfeindlicher Gewalt betroffen, etwa durch Zwangssterilisation. Grundsätzlich bleibt die Vernachlässigung der Inklusion von Menschen mit Behinderungen nicht nur in der Arbeitswelt, sondern auch in internationalen Abkommen und Verträgen ein zentrales Problem. So wurde auf dem Summit unter anderem hervorgehoben, dass Menschen mit Behinderungen besonders von Klimawandel und daraus entstehenden Katastrophen betroffen sind. Bundesministerin Schulze unterstrich, dass Menschen mit Behinderungen wegen unzureichender Notfallkonzepte und mangelnder Versorgung in Krisen doppelt so häufig ums Leben kommen. Um Leben zu retten, müssten deshalb Schutzmaßnahmen mit Menschen mit Behinderungen geplant werden, damit diese auch erreicht werden.
Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO sterben jährlich rund 600.000 Menschen allein in Afrika zusätzlich an Atemwegserkrankungen, die durch die Klimakrise bedingt sind; die meisten davon sind ältere Menschen und/oder Menschen mit Behinderungen. Im Abschlussdokument der diesjährigen Weltklimakonferenz COP29 würden Menschen mit Behinderungen überhaupt nur einmal erwähnt – ohne jedoch Lösungsansätze aufzuzeigen, wie Gordon Rattay vom European Disability Forum hervorhob. Er führte aus, dass derartige Lücken tatsächlich in vielen Vertragswerken bestünden, so auch in dem im Sommer von den Vereinten Nationen verabschiedeten Pact for the Future, in dem Menschen mit Behinderungen nicht angemessen mit einbezogen würden. Es fehle also auch hier an einem politischen Verantwortungsbewusstsein.
Fazit
Als Vorbereitungskonferenz für den Global Disability Summit war die Veranstaltung in Berlin sicher hilfreich. Ein Ziel, nämlich den Austausch von europäischen und zentralasiatischen Organisationen zu forcieren, wurde erreicht: Die Zivilgesellschaft konnte sich gut vernetzen.
Zu bemängeln ist allerdings, dass keine konkreten Empfehlungen vorgestellt, diskutiert und gemeinsam verabschiedet wurden.
Zwar hatten die Co-Hosts des Summits im Vorfeld der Veranstaltung eine Abschlusserklärung („Outcome Document“) mit zehn Empfehlungen erarbeitet, um die inklusive internationale Zusammenarbeit und humanitäre Maßnahmen zu schärfen. Dafür wurden diverse Konsultationen mit Selbstvertretungsorganisationen und Zivilgesellschaft durchgeführt. Auch jetzt kann das Dokument noch bis 31. Dezember von der Zivilgesellschaft kommentiert werden.
„Die Kapazitäten sind vorhanden, es fehlt der politische Wille.“ Mit diesem Fazit und der Aufforderung, hier eine grundlegende Änderung herbeizuführen, beschloss Prinz Mired von Jordanien, einer der Co-Gastgeber des GDS im kommenden April, den European Regional Disability Summit. Damit fasste er die Situation treffend zusammen: Die Bereitschaft der betroffenen Mitgliedsverbände und Organisationen ist gegeben – nun braucht es die politische Einsicht und finanzielle Zusagen, diese Ressourcen weltweit zu nutzen.
Die Abschlusserklärung zum European Regional Disability Summit ist hier hinterlegt. Bis 31.12.2024 können noch Kommentare eingereicht werden, VENRO hat dies bereits getan. Die finale Erklärung soll Anfang 2025 veröffentlicht werden.
Dr. Jürgen Focke | HelpAge Deutschland / VENRO |