Politik

„Wir haben alles zu verlieren an Gesundheit und Wohlstand und sehr viel zu gewinnen an Lebensqualität“

Klima- wie Coronakrise zeigen, dass wir Ernährung, Gesundheit und Klima endlich als großes Ganzes betrachten müssen. Im Interview erklärt Dr. Eckart von Hirschhausen, wie wir alle zu mehr Nachhaltigkeit beitragen können und was er von der neuen Bundesregierung erwartet.

Ernährung, Gesundheit und Klima. Unsere Produktion und unser Konsum von Lebensmitteln ist nicht nachhaltig. Dr. Eckart von Hirschhausen, wo sehen Sie in Zukunft die zentralen Herausforderungen?

„Die großen Themen unserer Zeit hängen viel enger miteinander zusammen als oft wahrgenommen wird. Die Klimakrise ist auch eine Gesundheitskrise. Und ohne die Zerstörung von Lebensräumen, das Artensterben und den Wildtierhandel hätten wir auch kein Corona. Wir müssen Gesundheit global denken. Ein Virus stoppt nicht an Ländergrenzen. Ein C02-Molekül steigt in die Atmosphäre, egal, von welchem Kontinent es kommt. Auch Naturschutz und Tierschutz ist Gesundheitsschutz. Dieser Kerngedanke nennt sich „one health“ oder auf Deutsch: Gesunde Erde – Gesunde Menschen. Ein entscheidender Faktor zur Nachhaltigkeit ist unser Essen. Wenn wir nicht mehr essen, als wir brauchen, verbrauchen wir weniger. Ich würde es begrüßen, wenn der ökologische Fußabdruck auf Packungen aufgedruckt wäre. Mit meiner Stiftung Gesunde Erde – Gesunde Menschen möchte ich den Gedanken von „planetary health“ in Deutschland voranbringen. Diese Idee verbindet das, was dem Körper guttut, mit dem, was dem Planeten guttut. Allein durch eine pflanzenbasierte Ernährung könnten wir 150.000 Todesfälle in Deutschland jedes Jahr verhindern. Weniger Fleisch zu essen ist also ein echter Verzicht – auf Herzinfarkt und Schlaganfall!“

Die neue Bundesregierung will Nachhaltigkeit großschreiben. Wie lautet Ihre Botschaft an eine neue Regierung?

„Wir steuern mit hoher Geschwindigkeit auf eine unbewohnbare Erde zu. Dabei sind die großen Hebel bekannt: erneuerbare Energien sofort weiter ausbauen, Kohle in der Erde lassen, Konsum und Flüge reduzieren und, und, und. Wir müssen uns endlich von den alten Klimaerzählungen lösen: Wie viel Klimaschutz können wir uns leisten – oder der Wirtschaft zumuten? Wir haben alles zu verlieren an Gesundheit und Wohlstand, und sehr viel zu gewinnen an Lebensqualität. Der Klimawandel kommt nicht irgendwann – wir sind mittendrin. Diese Einsicht kam erst mit der Flutkatastrophe in diesem Sommer, bei der 200 Menschen starben und in einer Nacht mindestens 30 Milliarden Euro Schaden entstanden. Wir könnten es schöner haben als jetzt. Und gesünder. Meine Botschaft an die Ampel ist also: Das Teuerste was wir jetzt tun können ist: Nichts!“

Und nicht zuletzt: Was kann jede_r Einzelne tun?

„Sehr viel! Die persönlichen Hebel sind weniger heizen, weniger fliegen, weniger Fleisch. Außerdem sollten wir aufhören, Lebensmittel zu verschwenden – ein Drittel landet in der Tonne. Aber das allein reicht nicht. Werden Sie politisch! Jeder von uns hat nicht nur einen ökologischen Fußabdruck, sondern auch einen „Handabdruck“, also die Möglichkeit durch politisches Handeln aktiv Einfluss zu nehmen. Sich schlau machen, sich verbünden mit anderen und auf politische Veränderungen drängen, das ist das allerwichtigste. Es ist falsch, alle Kraft auf die Vermeidung von Plastiktüten zu legen, wenn Flüge weiterhin in Deutschland billiger sind als Bahnfahrten. Und wenn Milliarden Subventionen in der Landwirtschaft und in der Energieerzeugung genau die falsche Richtung befeuern. Deswegen müssen wir überregional, europäisch und global denken. Wir haben nur noch zehn Jahre, die darüber entscheiden, wie die nächsten 10.000 Jahre für uns hier auf der Erde werden. Klima ist kein „Modethema“, sondern eine Frage des Überlebens.“

Mehr zum Thema erfahren Sie auf unserer machbar-Konferenz 2021 „Das große Ganze: Wie wir Ernährung, Gesundheit und Klima zusammendenken können“, die am 2. Dezember in Berlin stattfindet. Alle Infos zum Programm finden Sie hier. Weitere Informationen stellen wir auf unserer Webseite bereit.


 

Dr. Eckart von Hirschhausen ist Arzt, Moderator, Autor und Wissenschaftsjournalist. Er setzt sich seit 2018 für eine medizinisch und wissenschaftlich fundierte Klimapolitik ein. Er ist Mitglied der „Scientists for Future“ und Unterstützer der „Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit“ (KLUG). Zudem hat er die Stiftung „Gesunde Erde – Gesunde Menschen“ gegründet und übernahm 2021 die Schirmherrschaft für die Hamburger Klimawoche.