Politik

Atlas der Zivilgesellschaft: Die Weltkarte wird immer oranger, roter, unfreier

Atlas-Weltkarte mit Länder-Einordnungen, beruhend auf CIVICUS-Daten aus dem Jahr 2023

Zum siebten Mal dokumentieren Brot für die Welt und CIVICUS im Atlas der Zivilgesellschaft, unter welchen Bedingungen die weltweite Zivilgesellschaft arbeiten kann. Der Befund in diesem Jahr: Das Engagement wird immer schwieriger. Sieben Länder, darunter auch Deutschland, stiegen im Ranking ab. Eine Kurzanalyse von Christine Meissler, Referentin für den Schutz der Zivilgesellschaft bei unserer Mitgliedsorganisation Brot für die Welt

Grund für die deutsche Abwertung sind vor allem die Einschränkungen der Klimaproteste und Verletzungen des Versammlungsrechts. Das Recht, friedlich für Klimaschutz zu protestieren wird nicht nur in Deutschland, sondern auch in Ländern wie Frankreich und Großbritannien immer mehr eingeschränkt – obwohl der Schutz unserer Lebensgrundlage wichtiger denn je ist. Im diesjährigen Schwerpunkt des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt, dessen Datengrundlage das Ranking des CIVICUS-Monitors ist, weiten wir den Blick und zeigen, wie sich Aktivist_innen auch in anderen Weltregionen für den Schutz natürlicher Ressourcen, der Umwelt und des Klimas einsetzen; was sie erreichen können, aber auch, wie sie verfolgt und unterdrückt werden.

Zivilgesellschaft wird immer unfreier und massiver unterdrückt

Natürlich gibt es im diesjährigen Atlas auch Entwicklungen, die Mut machen – etwa der Blick nach Afrika: Dort verbesserten sich mit Benin, Lesotho, Madagaskar und dem nordafrikanischen Libyen gleich vier Länder im Ranking, während mit dem Senegal nur ein Land absteigt. Erschreckend wird es jedoch, wenn wir uns den Zeitverlauf anschauen: Die Weltkarte des Atlas wurde in den vergangenen Jahren immer weniger „grün“, stattdessen immer „oranger und roter“ – die Zivilgesellschaft wird insgesamt also immer unfreier und massiver unterdrückt. 2019 lebten noch etwa vier Prozent der Menschen in „grünen“ – also „offenen“ – Staaten, wo zivilgesellschaftliche Freiheiten weitgehend ohne rechtliche oder praktische Hürden garantiert werden. Ende 2023 waren es nur noch 170 Millionen Menschen, beziehungsweise etwa zwei Prozent der Weltbevölkerung

Zahl der Menschen in unterdrückten Gesellschaften hat sich verdoppelt

Mit 2,8 Milliarden Menschen (36 Prozent der Weltbevölkerung) war vor fünf Jahren die bevölkerungsstärkste Kategorie „beschränkt“, beziehungsweise „gelb“:  Derart markiert werden Länder, in denen eine Kombination aus rechtlichen und praktischen Einschränkungen dokumentiert wird, etwa durch Überwachung, bürokratische Schikanen, hohe Kontrollen und Berichtspflichten, Polizeigewalt bei Demonstrationen und eingeschränkte Pressefreiheit. Während diese Gruppe in den vergangenen fünf Jahren stetig kleiner wurde – die Zahl hat sich mehr als halbiert – verdoppelte sich die Zahl der Menschen in Ländern mit unterdrückter Zivilgesellschaft (etwa 40 Prozent). Dort wird Kritik an den Machthabenden durch Journalist_innen, Aktivist_innen oder Menschenrechtsverteidiger_innen fast unmöglich gemacht. Sie werden eingeschüchtert, inhaftiert, verletzt oder sogar getötet. Repressive Gesetze gegen Nichtregierungsorganisationen verhindern häufig die Arbeit von unabhängigen Vereinen oder sorgen für ihre Schließung.

Verhaftungen, Verurteilungen und Schließungen nehmen zu

Die Ursachen für zunehmende Einschränkungen und Repressionen, die auch in EU-Staaten passieren (2019 waren noch 53,6 Prozent der Länder „offen“ – 2024 nur noch 44,4 Prozent), beschäftigen uns immer mehr. Denn was der Atlas im Jahresvergleich zeigt, beobachten wir auch bei unseren Partnerorganisationen: In vielen Ländern wird unabhängiges kritisches Engagement und vor allem Menschenrechtsarbeit fast unmöglich. Verhaftungen, Verurteilungen und Schließungen von Organisationen haben in den vergangenen Jahren zugenommen. Deshalb werden wir bei Brot für die Welt eine neue Blogserie starten, die – auch aus Sicht unserer Partnerorganisationen – die Gründe für den weltweiten Abwärtstrend, die Instrumente von Einschränkung und Repression, aber auch die Folgen für die Zivilgesellschaft näher in den Blick nimmt.


Dieser Blogartikel ist zuerst in ähnlicher Form bei unserer Mitgliedsorganisation Brot für die Welt erschienen.