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Professionalisierte Vorstandsarbeit: Wachsende Komplexität erfordern neue Vereinsstrukturen

Interview mit Jörn Ziegler, Vorstand von ChildFund Deutschland e.V.:

Für eine wirksame Entwicklungszusammenarbeit, die den Anspruch hat, positive gesellschaftliche Veränderungen zu unterstützen, sind nicht nur langer Atem, gute Ideen und engagierte Partner wichtig. Auch im eigenen Haus müssen die richtigen Strukturen etabliert sein. Mit dem VENRO-Verhaltenskodex haben sich die Mitgliedsorganisationen auf strenge Standards verpflichtet. Besonders in und nach Wachstumsphasen zeigt sich, ob die bestehenden Strukturen noch mithalten können. Die Anforderungen an die Mitgliederversammlung, die die Arbeit des Vorstandes beaufsichtigen muss, nehmen beispielsweise enorm zu, je umfangreicher und komplexer die Arbeit eines Vereins wird. Auch für einen ehrenamtlichen Vorstand wird es mit zunehmender Größe immer schwieriger, den Anforderungen einer effektiven Vereinsführung neben Beruf und Familie noch gerecht zu werden.

Im Sommer 2017 vollzog ChildFund Deutschland einen weitreichenden Umbau seiner Vereinsorgane. Die Mitgliederversammlung gab dem Verein eine neue Satzung. Diese etabliert neben der Mitgliederversammlung ein zusätzliches Aufsichtsgremium, den Aufsichtsrat. Gleichzeitig ist die Vorstandstätigkeit auf die bisherige Geschäftsführung übertragen worden. Ich möchte genauer wissen, was es mit dieser Umstellung auf sich hat und habe ein Interview mit Jörn Ziegler, Vorstand von ChildFund Deutschland e.V., geführt.

Frage: Herr Ziegler, was bedeutet die Veränderung vom Geschäftsführer zum Vorstand für Sie persönlich?

Jörn Ziegler: Verantwortung trägt und fühlt man auch als Geschäftsführer. Als Vorstand trägt und fühlt man sie noch etwas mehr – man kann jetzt in Zweifelsfällen nicht mehr ‘nach oben’ abgeben, sondern steht selbst für jede schwierige Entscheidung ein.

Hatten Sie vorher Bedenken?

Nein, ich hielt das nach langjähriger Erfahrung in der Geschäftsführung für gut machbar.

Was sind die anderen wesentlichen Veränderungen bei ChildFund?

Wir haben nun einen Aufsichtsrat, an den der – jetzt hauptamtliche – Vorstand berichtet. Diese Berichte sind allerdings wesentlich straffer und pointierter als die vorherigen Berichte der Geschäftsführung an den Vorstand. Der Aufsichtsrat konzentriert sich auf seine Kontroll- und eben Aufsichtsfunktion und braucht nicht jedes tiefgründige Detail zu wissen, wie das die Vorstandsmitglieder zuvor für ihre Leitungsarbeit benötigten. Die neuen Verhältnisse sind zu Beginn etwas gewöhnungsbedürftig, aber es zeichnet sich schon ab, dass sie unter dem Strich Berichts- und Dokumentationsaufwand vereinfachen oder gar reduzieren.

Was waren die wichtigsten Gründe für die Umstellung?

Maßgeblich war das zunehmende Empfinden unserer ehrenamtlich engagierten Vereins- und bisherigen Vorstandsmitglieder, der wachsenden Komplexität der Herausforderungen und Themengebiete von der Entwicklungszusammenarbeit bis zum Fundraising nicht mehr so gewachsen zu sein, wie es für eine Leitungsaufgabe erforderlich ist. Auch wurde es für konsequent gehalten, die bei der hauptamtlichen Geschäftsführung vorhandene fachliche Expertise und Leitungserfahrung letztlich auch auf den ganzen Verein zu übertragen.

Woher kam der Anstoß, die Vereinsstruktur umzubauen?

Überwiegend aus den Reihen der ehrenamtlichen Vorstandsmitglieder bzw. aus Gesprächen zwischen ihnen und der früheren Geschäftsführung. Dabei wurden bewusst Strukturen und Erfahrungen anderer Organisationen einbezogen und bewertet, die diese Veränderung in den letzten Jahren schon vorgenommen haben.

Welche Rolle spielte der VENRO-Verhaltenskodex dabei?

Der VENRO-Verhaltenskodex ist für uns seit vielen Jahren eine der zentralen Rahmenverpflichtungen, die wir befürworten und umsetzen. Seine Vorgaben ebenso wie die sehr ähnlichen Vorgaben der Spendensiegel-Leitlinien des DZI zur Organisationsführung waren hilfreiche Parameter bei der Beratung und Festlegung der neuen Struktur.

Wie sah der Prozess der Umstellung aus?

Der Prozess hat insgesamt fast drei Jahre gedauert – von der ersten Diskussion im Vorstand, auf Mitgliederversammlungen und im Rahmen eines ganztägigen Mitglieder-Workshops bis zur beschließenden Mitgliederversammlung im Juli 2017. Wir haben uns bewusst Zeit für alle Beratungen genommen. Dabei gab es externe Hilfen durch einen ChildFund verbundenen Anwalt, der zu Sonderkonditionen unsere neue Satzung entwarf, aber auch von anderen Organisationen, die uns kollegial Praxisbeispiele – Satzungen oder Geschäftsordnungstexte – zur Verfügung stellten. Auch haben wir im Beratungsprozess die Meinungen von Finanzamt, DZI und unserem Wirtschaftsprüfer eingeholt und einbezogen. Meine Mitarbeit in der VENRO-AG Transparenz war gleichfalls hilfreich, weil es dort immer wieder Anregungen zu einschlägig relevanten Themen gab.

Welche Vorteile der Umstellung spüren Sie jetzt schon?

Abgesehen von dem verminderten Berichtsaufwand ist deutlich geworden, dass bestimmte Entscheidungen in der Diskussion zwischen zwei hauptamtlichen Vorständen wesentlich schneller gefällt werden können als auf der einmal im Kalenderquartal stattfindenden Vorstandssitzung von fünf Ehrenamtlichen.

Was sollten andere NRO beachten, die eine solche Strukturveränderung anstreben?

Damit die Vereinsmitglieder den Prozess mitdenken können und seine Ergebnisse am Schluss nicht nur tragen, sondern auch aus Überzeugung befürworten, ist genügend Zeit und intensive Auseinandersetzung – beispielsweise auf einem Workshop – sehr zu empfehlen. Aus der Einbeziehung der externen Partner haben sich zudem wichtige Anregungen ergeben, die man nicht missen sollte. Wir stellen die für uns gewählten Geschäftsordnungstexte  gern Interessierten zur Verfügung, die über ähnliche Veränderungen nachdenken.


Weitere Informationen:

Die von ChildFund Deutschland e.V. erstellten Geschäftsordnungstexte können Mitgliedsorganisationen von VENRO in der Good-Practice-Bibliothek finden.

Einen ersten Überblick über die rechtlichen Rahmenbedingungen für einen hauptamtlichen Vorstand finden Sie auf dieser Internetseite.