Politik

#weltweitwichtig: Mehr Tempo für Frauenrechte und Geschlechtergerechtigkeit

Gongotri setzt sich in ihrem Heimatdorf in Nepal gegen Frühehen ein. Angeline repariert in ihrer Gemeinde in Simbabwe Wasserpumpen. Gabriela bildet in Kolumbien Frauen aus, die zu COVID-19 aufklären. Auf drei Kontinenten stellen diese Frauen mit ihrem Engagement und ihrer Arbeit den Status quo in Frage und setzen sich für positive Veränderung in ihrem Leben und für ihre Gemeinden ein.

Frauen und Mädchen machen die Hälfte der Weltbevölkerung aus. Mehr als ein Drittel aller Frauen haben in ihrem Leben Gewalterfahrung gemacht. In vielen ländlichen Gebieten gehen weniger als die Hälfte der Mädchen nach der Grundschule weiter in die Schule. 40 Millionen Frauen und Mädchen sind auf der Flucht, vertrieben von Krieg, Naturkatastrophen und Gewalt. Frauen sind häufiger und extremer von Armut betroffen als Männer. In vielen Ländern sind die Rechte von Frauen, etwa auf Selbstbestimmung oder Landbesitz, stark eingeschränkt. Und in Parlamenten sind weltweit nur 25 Prozent Frauen vertreten. Die Zahlen belegen deutlich: Es ist noch ein weiter Weg bis zu einer Welt, in der alle die gleichen Chancen und Rechte haben.

Frauen stärken bedeutet auch, die gesamte Gemeinde zu stärken

Wie Veränderung zu mehr Gleichheit und Gerechtigkeit aussehen und durch geschlechtersensible humanitäre Hilfe und einen rechtebasierten Ansatz zu Gleichberechtigung in der Entwicklungszusammenarbeit unterstützt werden kann, zeigen die Geschichten von Gongotri, Angeline und Gabriela*:

Gongotri, 22, aus Nepal arbeitet heute als Lehrerin. Selbst von ihrer Familie jung verheiratet, lernte sie in einem Programm gegen Frühehen durch die Trainings und Aktivitäten einer Mädchengruppe, welche Rechte Mädchen haben und wie sie diese einfordern können. Seitdem hat sie ihre Familie überzeugt, ihre jüngere Schwester nicht zu verheiraten, sondern weiter zur Schule gehen zu lassen.

Angeline, 47, aus Simbabwe hat im Rahmen eines Entwicklungsprojekts eine Ausbildung zur Dorfpumpenmechanikerin absolviert. So sorgt sie seit dem Tod ihres Mannes nicht nur allein für das Familieneinkommen, sondern auch für Zugang zu sauberem Trinkwasser für die gesamte Gemeinde.

Gabriela aus Kolumbien ist Chirurgin und humanitäre Helferin. Sie arbeitet seit Beginn der Corona-Pandemie ohne Unterlass für die Versorgung von Patienten und die Aufklärung über Hygienemaßnahmen, das Coronavirus und Impfungen. Sie organisiert zum Beispiel Trainings für Frauen in ländlichen Gemeinden zu Maßnahmen gegen COVID-19 und gegen die seit Beginn der Pandemie stark angestiegene geschlechtsbasierte Gewalt. So stärkt sie die positive Führungsrolle, die viele Frauen insbesondere in Krisensituation übernehmen.

Angeline, Gongotri und Gabriela stehen für viele Frauen weltweit. Für Frauen, deren Lebenssituation durch Armut, Naturkatastrophen, Gewalt und restriktive Rollenbilder und Stereotype geprägt sind. Sie stehen für das Leiden, dem Frauen und Mädchen ausgesetzt sind. Aber sie stehen vor allem für Engagement, Willen und die Möglichkeit der Veränderung.

Entwicklungszusammenarbeit muss Geschlecht berücksichtigen und Rechte stärken

Die Fakten zu Geschlechterungleichheit und Diskriminierung sind seit langem bekannt. Auf Lösungsansätze und Ziele haben sich die 4. Weltfrauenkonferenz, die Pekinger Aktionsplattform sowie die Internationale Konferenz für Bevölkerung und Entwicklung im Kairoer Aktionsprogramm geeinigt und verpflichtet. Trotzdem passieren die realen Veränderungen viel zu langsam – und das bereits vor der Corona-Pandemie, die die Lage für Frauen weltweit noch einmal drastisch verschlechtert hat.

Das Veränderungspotenzial und das Engagement von Frauen und Mädchen wie Angeline, Gongotri und Gabriela und ihren Gemeinden muss in Projekten der Entwicklungszusammenarbeit und der humanitären Hilfe, in Krisenprävention, Wiederaufbau und Friedenssicherung unterstützt und gefördert werden. Dies kann durch Gender Mainstreaming geschehen, also die Erfassung und Berücksichtigung der spezifischen Bedürfnisse von Frauen und Mädchen. Gender Mainstreaming muss Voraussetzung für die Umsetzung von Projekten sein. Denn der Mangel an vorausschauender Planung hat oft dramatische Folgen: Frauen sterben nach Naturkatastrophen nicht nur an Hunger oder verunreinigtem Wasser, sondern auch an schwangerschaftsbedingten Komplikationen, für die sie keine Versorgung bekommen. Einkommensschaffende Maßnahmen kommen vor allem den bereits besser positionierten Männern zugute. Unterdrückung und Gewalt gegen Frauen und Mädchen kann durch Projekte unbeabsichtigt verstärkt werden.

Geschlechtsspezifische Bedarfe zu berücksichtigen, ist ein essenzieller Teil von Projektarbeit. Aber das allein reicht nicht aus, wir müssen insgesamt besser werden: Die Förderung der Rechte von Frauen und Mädchen muss Grundlage und Ziel der Entwicklungszusammenarbeit sein. Humanitäre Hilfe muss auf einem geschlechtersensiblen Ansatz basieren. Geschlechtergerechtigkeit ist nicht nur Hilfsmittel zur Erreichung anderer Ziele. Die Stärkung der Rechte von Frauen und Mädchen ist auch ein Ziel an sich.

Um nachhaltig Chancengleichheit und Selbstbestimmung von Frauen und Mädchen zu erreichen, müssen Ungleichheiten, Diskriminierung und schädliche Normen auf allen Ebenen adressiert werden. Ein Beispiel ist die Abschaffung von Gesetzen, die es Vergewaltigern ermöglichen, sich der Strafverfolgung zu entziehen, wenn sie ihr Opfer heiraten. Auch die deutliche Positionierung gegen antifeministische Bewegungen, die vielerorts zunehmend erstarken, ist eine wichtige gesellschaftspolitische Aufgabe. Zentral ist die Beteiligung von Frauen an allen Lebensentscheidungen, etwa durch den Zugang zu sexuellen und reproduktiven Gesundheitsdienstleistungen, damit ihr Recht auf Selbstbestimmung gewährleistet ist.

Die Bundesregierung muss das Tempo für Geschlechtergerechtigkeit erhöhen

Frauen wie Angeline, Gongotri und Gabriela zeigen, was möglich ist. Die Statistiken zeigen, dass mehr und konkretere Handlung notwendig ist. Es fehlen bindende finanzielle Zielgrößen für geschlechtergerechte deutsche Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe. 47 Prozent für Projekte mit Geschlechtergerechtigkeit als Nebenziel und 2 Prozent für Projekte mit Geschlechtergerechtigkeit als Hauptziel (Anteil an deutscher ODA 2019) sind nicht genug.

Die neue Bundesregierung muss hier mindestens das vom EU-GAP gesetzte Ziel von 85 Prozent Projekten mit Geschlechtergerechtigkeit als Neben- oder Hauptziel erfüllen. Außerdem sollten 20 Prozent aller Vorhaben Geschlechtergerechtigkeit zum Hauptziel haben.

Die Corona-Pandemie hat uns gezeigt, wie schnell die erreichten Fortschritte zunichte gemacht werden können. Aber nicht nur die Pandemie, auch weltweite ultrakonservative Anti-Gender-Bündnisse richten sich aktiv gegen eine Gleichberechtigung der Geschlechter und insbesondere das Recht auf sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung. Deutschland hat in den letzten Jahren mit der Familienplanungsinitiative, dem NAP III 1325 sowie dem Engagement im Generation Equality Forum positive Signale für die Gleichberechtigung und die Stärkung der Rechte und Beteiligung von Frauen und Mädchen gesetzt. Die neue Bundesregierung hat hier die Chance ein Zeichen für Gerechtigkeit zu setzen und sich deutlich für die Rechte von Frauen und Mädchen zu positionieren.

Es ist höchste Zeit für die Bundesregierung zu handeln und mit konkreter, verlässlicher und umfassender Finanzierung und dem Einstehen für die Rechte von Frauen und Mädchen weltweit das Tempo für mehr Geschlechtergerechtigkeit zu erhöhen.

*Angelines, Gabrielas und Gongotris Geschichten sind Fallbeispiele aus Projekten von CARE. Aus Gründen der Anonymität werden hier nur ihre Vornamen genannt. CARE Deutschland teilt gerne weitere Informationen zu den Geschichten der drei Frauen und den Projekten. Kontakt: dietzel@care.de


Dieser Artikel ist Teil unserer Themenreihe zur Bundestagswahl 2021, in der wir unsere Erwartungen für die kommende Legislaturperiode formulieren. Die Blogserie basiert auf unserem aktuellen Positionspapier Was jetzt #WeltWeitWichtig ist – Erwartungen an die Parteien zur Bundestagswahl 2021. Darin fordern wir die Parteien, die zukünftigen Abgeordneten und die kommende Bundesregierung auf, ihre Prioritäten auf eine nachhaltige Politik zu richten, die alle mitnimmt!

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