Politik

Die erste Investment Round der WHO – ein guter Plan oder nur heiße Luft und neue Abhängigkeiten?

Die Finanzierung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) befindet sich seit langem in einer massiven Schieflage. Nun hat sie ein Papier mit guten Argumenten erstellt – ein Investment Case –, um aufzuzeigen, warum es sich lohnt, in globale Gesundheitsmaßnahmen zu investieren. Auf diesem Wege will sie öffentliche und private Geber_innen überzeugen, mehr Mittel für die Arbeit der WHO bereitzustellen. Nach Einschätzung von Andreas Wulf von medico international und Mitglied der VENRO-AG Gesundheit birgt dieser Plan einige Schwachstellen.

Die WHO darf weder die Dienstleisterin ihrer Mitgliedstaaten noch ihrer Geldgeber_innen sein, wenn sie ihren menschenrechtlichen Kernauftrag wahrnehmen soll, allen Menschen „zur Erreichung des bestmöglichen Gesundheitszustandes zu verhelfen“. Gerade in Zeiten massiver Infragestellung der Integrität und Unabhängigkeit der WHO und hartnäckiger „Fake News“ über die vermeintliche „Weltkontrollbehörde“ im Pandemiefall braucht sie eine höchstmögliche Flexibilität und Sicherheit der Mittel, um ihr Ziel „Gesundheit für Alle“ zu erreichen.

Aktuell kann die WHO nur die Pflichtbeiträge ihrer Mitgliedstaaten fest einplanen und flexibel verwenden. Sie machen allerdings kaum 20 Prozent des jährlichen Budgets der Zentrale in Genf, der sechs Regionalbüros und der 150 Länderbüros aus. Der überwiegende Teil der Mittel ­– mehr als 80 Prozent – sind freiwillige Beiträge von Industriestaaten, multilateralen Organisationen wie der Weltbank und von großen privaten Stiftungen, – etwa die Gates Foundation oder die Rotary- und Wellcome-Stiftung. Diese freiwilligen Beiträge sind thematisch oder regional zweckgebunden.

Kohärenz statt Konkurrenz

Das Budget der WHO wird jährlich von der Weltgesundheitsversammlung (WHA), in der alle Mitglieder vertreten sind, verabschiedet. Welche Vorhaben finanziert werden, hängt aber stark davon ab, wie erfolgreich jeder Arbeitsbereich die dafür notwendigen Mittel einwerben kann. Damit konkurrieren verschiedene Arbeitsbereiche in der WHO häufig bei wichtigen Geber_innen um die gleichen Finanztöpfe. Keine gute Voraussetzung für eine kohärente Arbeit, wie sie für eine globale Gesundheitsorganisation wichtig wäre.

Seit langem steht das Thema der Finanzierung ganz oben auf der WHO-Agenda. Einen ersten Erfolg konnte das Budget-and-Administration-Komitee (PBAC) der WHO vor zwei Jahren erzielen. Die Mitgliedsländer einigten sich auf eine schrittweise Erhöhung ihrer Beiträge.  Bis 2030 soll so die Hälfte des WHO-Budgets durch Mitgliedsbeiträge gedeckt werden, statt nur 20 Prozent wie bisher.

Unabhängig davon wird Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus nicht müde, dafür zu werben, dass auch der Teil des Budgets, der sich aus freiwilligen Beiträgen besteht, flexibel und langfristig planbar eingesetzt werden kann. Daraus entstand der aktuelle Plan, Argumente für die finanzielle Unterstützung der WHO in einem Investment Case zu präsentieren und von den Mitgliedstaaten in einer Investment Round Finanzierungszusagen für das WHO-Kernarbeitsprogramm für vier Jahre (2025 – 2028) zu erhalten. Außerdem soll es ähnlich wie beim Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria, der Impfallianz GAVI oder dem neuen globalen Pandemiefonds öffentliche und prominent besetzte Geberkonferenzen geben, um weitere Mittel zu mobilisieren. Sieben Mitgliedsländer der WHO, darunter Deutschland, erklärten sich bereit, als Unterstützer des Plans für den Investment Case zu werben.

Von den anvisierten 11,2 Milliarden US-Dollar, die für das Kernprogramm in den kommenden vier Jahren benötigt werden, sollen auf der Geberkonferenz 7,1 Milliarden US-Dollar eingeworben werden. 4,1 Milliarden US-Dollar werden von den Mitgliedsbeiträgen gedeckt.

Die Erwartungen sind gedämpft

Das jährliche WHO-Budget von knapp drei Milliarden US-Dollar ist geringer als das eines europäischen Universitätskrankenhauses, und „globale Gesundheit ist eigentlich zum Schnäppchenpreis zu haben“. Das betont Generaldirektor Tedros immer wieder. Doch die Erwartungen auf einen Erfolg scheinen gedämpft zu sein. Beim Launch des Investment Case zur Eröffnung der Weltgesundheitsversammlung im Mai 2024 in Genf wollten sich nur wenige Akteur_innen dazu verpflichten, in die Arbeit der WHO zu investieren. Als Gastgeber des Launches sagte allein Deutschland zu, jährlich 60 Millionen Euro in den nächsten vier Jahren zusätzlich zu seinem Mitgliedsbeitrag bereitzustellen. Diese zusätzlichen Mittel sind im Budget des Bundesgesundheitsministeriums für den Haushalt 2025 fest eingeplant. Verglichen mit der Summe von fast einer halben Milliarde US-Dollar, mit der Deutschland die WHO in den Jahren der Corona-Pandemie 2020 und 2021 unterstützte, nachdem Donald Trump angekündigt hatte, die US-amerikanische Finanzierung der WHO zu streichen, erscheint die Summe dennoch bescheiden.

Ob Brasilien, ebenfalls Co-Gastgeber der Investment Round, beim G20-Gipfel in Rio de Janeiro im November einer Geberkonferenz einen prominenten Platz einräumt, wie von der WHO vorgeschlagen, ist weiterhin unklar. Aktuell ist immerhin eine hochrangig besetzte Veranstaltung während des World Health Summit in Berlin Mitte Oktober geplant. Damit schwindet aber auch die Erwartung, dass die WHO aus dem Dilemma kommt, immer von den „üblichen Geber_innen“ abhängig zu sein. Das BRICS-Land Brasilien, das dieses Jahr den Vorsitz der G20 innehat, wäre der weitaus bessere Gastgeber gewesen.

Unterstützung durch afrikanische Staaten und die Zivilgesellschaft

Zusätzlich setzt die WHO nun auf mehrere und dezentrale Momente wie dem Regionaltreffen der WHO AFRO in Brazzaville im September, bei dem afrikanische Staaten ihre finanzielle und vor allem auch wichtige politische Unterstützung für dieses neue Finanzierungsinstrument signalisieren wollen.

Auch von der Zivilgesellschaft wünscht sich die WHO eine klare Unterstützung für ihre Pläne, ähnlich wie die „Friends of the Global Fund“ in vielen Ländern. Allerdings hat der Global Fund den zivilgesellschaftlichen Akteur_innen wie auch den betroffenen Communities eine stärkere und institutionalisierte Rolle in seinen Governance-Strukturen – sowohl auf internationaler als auch auf nationaler Ebene – eingeräumt. Damit tun sich die WHO und vor allem ihre Mitgliedsländer weiterhin schwer, auch wenn nach vielen Mühen immerhin eine Civil Society Commission beim WHO-Sekretariat in Genf 2023 eingerichtet wurde.

Die aktuelle globale Rezession und die Haushaltslage wichtiger Geberländer lassen nichts Gutes ahnen für den ambitionierten Investment Case der WHO. Dazu kommt, dass sie sich damit in unmittelbare Konkurrenz mit den erwähnten anderen globalen Gesundheitsinitiativen begibt, die ebenfalls in regelmäßig wiederkehrenden Zyklen auf finanzielle Unterstützung durch Geber_innen angewiesen sind.

Noch problematischer wäre es allerdings, wenn die WHO doch wieder auf die „üblichen Verdächtigen“, die großen privaten Stiftungen oder Unternehmen zurückgreifen muss, um Finanzierungszusagen zu bekommen, so wie es die globalen Gesundheitsinitiativen im Public-Private-Partnership-Format regelmäßig tun.

Deutliche politische Bekenntnisse zu den UN-Institutionen

Die Arbeit der WHO sollte jeden Anschein einer Beeinflussung von „vested interests“ vermeiden, so wie es schon in den Debatten um ihr Framework for Engagement with Non State Actors (FENSA) deutlich zum Ausdruck kam. Gerade angesichts der Fake News, die während der Corona-Pandemie verbreitet wurden, und der Verschwörungsakteur_innen, die unermüdlich Misstrauen gegenüber multilateralen Institutionen schüren, sind nicht nur deutliche politische Bekenntnisse zu den UN-Institutionen von großer Bedeutung, sondern auch eine solide finanzielle Grundlage, die gemeinsam von den Mitgliedsstaaten gesichert wird.