Politik

Gendersensible Evaluationen: woran hakt‘s?

Obwohl die Medien oft ein anderes Bild zeichnen, ist die Entwicklungszusammenarbeit eines der am besten evaluierten Politikfelder und sie zeigt nachhaltige Wirkungen in den Partnerländern. Das belegen Evaluationen von Nichtregierungsorganisationen, der staatlichen Durchführungsorganisationen und des Deutschen Evaluierungsinstituts der Entwicklungszusammenarbeit (DEval). Doch Gender-Aspekte bleiben oft unberücksichtigt.

Trotz anerkannter Qualitätsstandards fallen Gender-Aspekte in der Evaluation noch zu häufig unter den Tisch. Es hakt an den Standards selbst, aber auch an Kompetenzen, klaren Prozessen und an der nötigen Zeit, um organisationsspezifische Kriterien zu entwickeln. Als Evaluator_innen müssen wir uns selbst immer wieder daran erinnern, Daten so zu erheben, dass genderspezifische Effekte untersucht werden können.

Entwicklungspolitische Akteur_innen sind sich einig, dass die konsequente Berücksichtigung von Gender-Aspekten ein Merkmal guter Evaluationen ist. Der normative Rahmen ist seit fast drei Jahrzehnten klar: Die Platform for Action der Beijing Declaration von 1995 legt fest, dass eine Gender-Perspektive in der Evaluation aller Politikbereiche und Programme verankert werden soll. Zivilgesellschaftliche Entwicklungsorganisationen haben sich unter anderem mit den Istanbuler Prinzipien zu einer geschlechtergerechten Umsetzung ihrer Arbeit bekannt. VENRO erläutert in den Leitlinien für eine wirksame entwicklungspolitische Projekt- und Programmarbeit die Bedeutung der Gender-Perspektive für Evaluationen. Ebenso hat sich die Bundesregierung zu einer feministischen Entwicklungspolitik verpflichtet und in ihrer Strategie eine gendersensible Evaluation verankert. Trotz all dieser Initiativen zeigt ein DEval-Review zur Berücksichtigung von Menschenrechten in EZ-Evaluationen, dass eine Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit bei der Berücksichtigung von Geschlechtergerechtigkeit in Evaluationen besteht.

National und international gibt es eine Reihe von Qualitätsstandards für Evaluationen; im Gender-Bereich sind diese allerdings zum Teil nicht ausdifferenziert. Qualitätsstandards beschreiben die Inhalte guter Evaluationsarbeit. Deutsche Akteur_innen verpflichten sich unter anderem zur Anwendung der OECD-DAC- und DeGEval-Standards (Guffler et al. 2022). Diese Standarddokumente geben Orientierung für eine gendersensible Evaluationsarbeit. So sollen zum Beispiel Evaluator_innen Geschlechterrollen bei der Konzeption und Durchführung von Evaluationen berücksichtigen. Sie machen aber kaum handlungsleitende Vorgaben. Die Entscheidung, welche Gender-Aspekte in den verschiedenen Phasen der Evaluation angewandt oder auch begründet nicht angewandt werden, liegt folglich bei den Organisationen.

Die entwicklungspolitische Community förderte die Verbesserung einer genderbasierten Evaluationsarbeit in den letzten Jahren durch verschiedene Aktivitäten:

  • VENRO und DEval befassten sich in mehreren gemeinsamen Workshops mit Gender- und Menschenrechtsaspekten und deren Verankerung in Evaluationen.
  • Die VENRO-Arbeitsgruppen Gender und Wirkungsorientierung entwickelten Konzepte zur Umsetzung von feministischen Projekten und Evaluationen.
  • VENRO führte mehrere Workshops durch, um eine feministische Evaluationspraxis in seinen Mitgliedsorganisationen zu verankern. Die Teilnehmenden erarbeiteten unter anderem konkrete Anwendungsmethoden und analysierten machtkritisch die aktuelle Evaluationspraxis. Wer Wissensträger_innen sind und welche Rolle die deutschen oder internationalen NRO im Rahmen der Partnerorientierung, Partizipation und Lokalisierung spielen, ist entscheidend für die Planung und Durchführung einer feministischen Evaluation.
  • Viele entwicklungspolitische Akteur_innen – wie zum Beispiel die VENRO-Mitgliedsorganisationen – führten organisationsspezifische Standards ein, um Menschenrechts- und Genderaspekte in Evaluationen zu berücksichtigen.
  • Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) verfasste ein Papier zu Menschenrechts- und Gender-Aspekten bei den OECD-Evaluationskriterien, dessen Entwicklung von DEval eng begleitet wurde.
  • Das DEval veröffentlichte einen Erklärfilm zum Thema „menschenrechtsbasierte Evaluierung“.
  • Das Deutsche Institut für Menschenrechte und das DEval richteten gemeinsam regelmäßig Werkstattgespräche zu Menschenrechten (und Gender) in Evaluationen aus.
  • Der Arbeitskreis Gender Mainstreaming der DeGEval entwickelte einen Leitfaden „Gender- und diversitätssensible Ausschreibungen von Evaluationen“, damit Genderaspekte von Beginn an in einer Evaluation mitgedacht werden.
  • Aktuell erarbeitet VENRO ein Papier zur Bedeutung der feministischen Politik für die Wirkungsorientierung und geht darüber hinaus der Frage nach, wie feministische Prinzipien in den Phasen von Monitoring, Evaluation, Accountability und Learning besser berücksichtigt werden können.
  • Das DEval erarbeitet momentan ein Diskussionspapier zur Berücksichtigung von Menschenrechten im Evaluationsprozess.

Menschenrechts- und Genderaspekte in der Evaluationsarbeit können über den Aufbau von Kompetenzen, klare Prozesse, den Wandel des Mindsets der Beteiligten und gemeinsames Lernen verankert werden. Es ist kein einfacher Weg, konkrete organisationsspezifische Standards zu Menschenrechten und Gender für Evaluationen zu entwickeln und diese umzusetzen. Wichtig ist es, die Gender-Kompetenzen der Mitarbeitenden in den entwicklungspolitischen Organisationen und ihren Partnerorganisationen sowie der Evaluator_innen zu stärken. Außerdem bedarf es klar definierter Prozesse in den Organisationen für die Umsetzung von Menschenrechts- und Gender-Standards bei Evaluationen. Neben Qualitätsstandards ist ein Wandel des Mindsets entscheidend: eine neue Evaluationskultur, die Gender und intersektionale Aspekte im Allgemeinen stärker im Blick hat. Jede einzelne Person ist hier gefragt. Durch Reflexion und gemeinsames Lernen können diese Ziele erreicht werden.


Dieser Blogbeitrag wurde gemeinsam von Lili Khoury, Petra Kiel, Sebastian Schuster, Martin Bruder, Kerstin Guffler und Laura Kunert verfasst.