Wer kennt schon das Cotonou-Abkommen? Es sind wenige, die damit etwas anfangen können, obwohl es seit Anfang dieses Jahrhunderts einerseits das zentrale entwicklungspolitische Förderinstrument und andererseits das handelspolitische Instrument der Europäischen Union (EU) ist. Es verdient sicherlich mehr Beachtung in der Politik und Öffentlichkeit der Mitgliedsstaaten sowie auch auf Seiten der Zivilgesellschaft.
Was ist das Cotonou-Partnerschaftsabkommen?
Seit 2002, dem Jahr des Inkrafttretens, regelt das sogenannte Cotonou-Partnerschaftsabkommen (CPA) die Beziehungen zwischen der EU und den Staaten des Globalen Südens, die mit den Mitgliedsstaaten der EU in engem geschichtlichen kolonialem und postkolonialem Zusammenhang stehen. Dabei folgte das CPA einer Reihe von Abkommen, die seit Gründung der EU diese Beziehungen regeln. Das Abkommen hat eine Laufzeit von 20 Jahren und die Verhandlungen um ein Folgeabkommen sollen im September beginnen. Schon seit zwei Jahren diskutieren sowohl zivilgesellschaftliche als auch politische Akteure in der EU und in den Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifiks (AKP-Staaten) intensiv darüber, ob es ein weiteres Abkommen geben muss und wie dieses aussehen soll.
Das CPA ist in einer Atmosphäre des Multilateralismus verabschiedet worden. Die Welt war nach dem Mauerfall im Aufbruch, es war die Zeit der großen UN-Konferenzen und der Jahrtausendeuphorie. Die Welthandelsorganisation war jung, die Entschuldungssolidarität kraftvoll und das Drängen nach Partizipation prägte das politische Miteinander.
Heute sind die Voraussetzungen für eine Neuauflage schwieriger: America (or whatever) first ist angesagt und verdrängt gemeinwohlorientiertes, solidarisches Handeln. Phänomene wie die German Angst, also die permanente Sorge um die Zukunft und die Angst vor dem „Abgehängt sein“ oder vor Verlusten, haben sich beispielsweise im Brexit gezeigt und können schlimmer noch in Xenophobie umschlagen. Rechtspopulistische Parteien breiten sich nicht nur in der EU aus und Demokratien und Menschenrechte stehen weltweit unter Druck. Umso wichtiger ist es, dass die EU ihre entwicklungspolitische Handlungsfähigkeit behält und stetig verbessert.
Was ist wichtig im CPA?
Die Beziehung der EU mit den Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifiks steht durch das CPA auf drei Säulen: dem politischen Dialog, den wirtschaftlichen Beziehungen und der Entwicklungszusammenarbeit.
Im politischen Dialog sind einerseits der menschenrechtliche Bezug und andererseits die Beteiligung der Zivilgesellschaft wichtige Elemente, die nicht nur zur Zeit der Jahrtausendwende sehr fortschrittlich waren, sondern auch eine Stärkung der Zivilgesellschaft bewirkten. So hat sich zum Beispiel im Pazifik, nicht zuletzt durch Förderung der EU, eine vernetzte und sprech- oder handlungsfähige NRO-Landschaft entwickelt.
Die wirtschaftlichen Beziehungen haben vor allem in den afrikanischen Ländern kontroverse Diskussionen ausgelöst. Die eigentlich bis 2007 angesetzten Verhandlungen zu den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (Economic Partnership Agreements, EPA) wurden von Nichtregierungsorganisationen (NRO) scharf kritisiert. In der Kritik standen die willkürliche regionale Aufteilung Afrikas, die die regionale Integration nicht abbildete sowie die Auswirkungen der EU-Handelspolitik auf die afrikanischen Märkte, was die mangelnde Kohärenz der verschiedenen EU-Politiken offensichtlich machte. Das erste EPA trat 2008 für die Karibik in Kraft. Erst 2014 haben afrikanische Länder unter Druck EPAs gezeichnet.
Die Entwicklungszusammenarbeit (EZ) basiert konzeptionell auf den EU-Strategien für die Länder und für die Regionen der AKP-Staaten. Die EZ wird durch den Europäischen Entwicklungsfond (EDF) finanziert, der wiederum durch Beiträge der Mitgliedsstaaten gefüllt wird und nicht Teil des EU-Haushaltes ist. NRO haben sich dafür eingesetzt, dass lokale Zivilgesellschaften besser bei den entwicklungspolitisch relevanten Fragen partizipieren – wenn es darum geht, Strategien für die AKP-Staaten zu entwickeln oder die Höhe des EDF zu erhalten, um kleinen Graswurzelorganisationen in den AKP Ländern einen leichteren Zugang zu ermöglichen – gerade vor dem Hintergrund verstärkter sicherheitspolitischer Interessen und des Klimawandels.
Wo stehen wir zu Beginn der Verhandlungen eines Post-Cotonou-Abkommens?
Seit der Verabschiedung des CPA ist auf der weltpolitischen Bühne viel geschehen. Insbesondere durch die Terrorakte im September 2001 kam es zu grundlegenden Verschiebungen bei den politischen Schwerpunkten. Das wurde insbesondere dadurch deutlich, wie die Millenniumserklärung der Vereinten Nationen (UN) in den Jahren der Finanz- und Wirtschaftskrise umgesetzt wurde. In der EU stellte die Erweiterung auf 27 Mitgliedsstaaten eine Herausforderung für die Stabilität der Beziehungen mit den AKP-Staaten dar, die durch die koloniale Geschichte geprägt sind. Die Migration und die Flucht aus akuten Konfliktregionen über das Mittelmeer sowie der Brexit sind aktuelle Herausforderungen für die EU-Politik.
Demgegenüber stehen die AKP-Länder, die in keiner Weise eine homogene Gruppe sind. Sie sind in sehr verschiedenem Ausmaß vom Klimawandel betroffen, mit Migrationsbewegungen konfrontiert und mit wirtschaftlichen Ressourcen ausgestattet. Diese unterschiedlichen Voraussetzungen spiegeln sich auch in der 2007 verabschiedeten Bilateral Joint Africa-EU Strategy wider.
Zudem spielen seit mehr als 15 Jahren neue Akteure auf der weltpolitischen Bühne eine zunehmend wichtige Rolle. China und Indien, Brasilien und die Türkei handeln gesondert ihre Interessen mit den AKP-Ländern aus. Zusätzlich gibt es eine weitere Herausforderung, die die EU und die AKP-Staaten gleichermaßen betrifft: Das Post-Cotonou-Abkommen muss den Anforderungen der 2015 verabschiedeten Agenda 2030 gerecht werden. Und schließlich bekennen sich alle Beteiligten dazu, dass koloniale Denkmuster überwunden werden und die Verhandlungen auf Augenhöhe stattfinden sollen.
Das Mandat, das die EU-Mitgliedsstaaten der Europäischen Kommission für die Verhandlungen mit auf den Weg gegeben haben, sieht vor, auf der Agenda 2030 aufbauend mit den drei Regionen der AKP-Staaten jeweils Abkommen auszuhandeln, die sehr spezifisch die unterschiedlichen Ausgangssituationen und Interessen abbilden. Das Mandat der AKP-Staaten zielt darauf ab, die unverminderte Unterstützung durch Entwicklungsarbeit einzufordern und ein Abkommen mit der AKP-Gruppe zu favorisieren.
Ein sehr wichtiger Parallelprozess sind die Verhandlungen in der EU über den neuen mehrjährigen Finanzierungsrahmen ab 2021, der große Auswirkungen auf die Finanzierung des Post-Cotonou-Abkommens haben wird. Und darüber hinaus wird die EU-Agrarpolitik ab 2020 überarbeitet, durch die die EU eine gemeinsame Wirtschaftspolitik verfolgt, die Auswirkungen auf die Weltmärkte und Entwicklungsprozesse haben kann.
Was wollen die NRO für das Folgeabkommen?
Auch für die Zivilgesellschaft hat sich die Ausgangssituation vor den jetzigen Verhandlungen verändert. Auf europäischer Seite haderte man damit, dass der Begriff „Nicht-Staatlicher Akteur“ im Rahmen des CPA als partizipatives Element behandelt wird, hatte aber Zugänge zu den politischen Verhandlungsforen, wie etwa der Joint Parliamentarian Assembly. Zivilgesellschaftliche Organisationen der AKP-Staaten wurden vor allem im Umfeld der Verhandlungen zu den EPAs aktiv und suchten den Austausch mit europäischen NRO. Heute wehren wir uns gemeinsam dagegen, dass Gestaltungsräume der Zivilgesellschaft eingeschränkt werden sollen, dass die EZ sich stark auf die Zusammenarbeit mit dem Privatsektor orientiert und dass sicherheitspolitische Maßgaben Priorität haben sollen auf Kosten menschenrechtlicher Errungenschaften. In einer langjährigen und vertrauensbildenden Zusammenarbeit wurden Positionen und Prinzipien formuliert für Partizipation, für die finanzieller Ausstattung einer nachhaltigen EZ, für eine menschenrechtsbasierte Migrationspolitik sowie für den verantwortungsvollen Umgang mit natürlichen Ressourcen und Klimaschutz. Auf europäischer Ebene hat sich der zivilgesellschaftliche Dachverband CONCORD um gemeinsame Positionen bemüht, die ebenfalls in die Konsultationsprozesse eingeflossen sind. Auch VENRO hat einen Standpunkt herausgegeben, der diese Forderungen darstellt.
Ein neues Abkommen darf nicht hinter das alte zurückfallen
Als entwicklungspolitische NRO müssen wir daran interessiert sein, Errungenschaften des CPA zu erhalten. Das schließt die Chance ein, mit unseren Partnern ebenso in Dialog zu treten wie mit Vertreterinnen und Vertretern von Regierungen und der Bevölkerung. Leider ist es in den nun knapp 18 Jahren nicht gelungen, die am CPA beteiligten 79 + 27 Staaten zu einer Einigkeit für gleiche Ziele zu bewegen, beispielsweise in internationalen Verhandlungen zur Überwindung weltweiter Krisen. Erst im Zusammenhang mit den Klimagipfeln wurde an eine solche Möglichkeit gedacht.
Für ein neues Abkommen bildet die Agenda 2030 ein solides Fundament für Partnerschaft und Solidarität. Doch die angedachte Fragmentierung des Abkommens in drei mehr oder weniger bilaterale Abkommen (A-EU, K-EU und P-EU) schließt das Risiko ein, nicht sehr nachhaltig zu sein. Der Druck, gemeinsame Interessen zu entwickeln, wird geringer.
Multilateralismus, Überwindung kolonialen Denkens, Teilhabe, Umverteilung, Kohärenz, Verbindlichkeit, Transparenz und Überprüfbarkeit – das sind unsere Forderungen im Verhandlungskontext. Hier dürfen wir nicht nachlassen, die Rolle des Wachhundes einzunehmen, damit – frei nach der Agenda 2030 – niemand zurückgelassen wird.
Lesens- und Wissenswertes
Zum Cotonou-Partnerschaftsabkommen:
https://ec.europa.eu/europeaid/regions/african-caribbean-and-pacific-acp-region/cotonou-agreement_en
https://concordeurope.org/tag/epa/
http://ec.europa.eu/budget/biblio/documents/FED/fed_de.cfm.
Zum Post-Cotonou-Prozess:
https://ec.europa.eu/europeaid/tags/post-cotonou_en
Zu den Verhandlungsmandaten:
Zu zivilgesellschaftlichen Positionen:
https://concordeurope.org/what-we-do/promoting-civil-society-space/eu-budget-mff-2021-2027/.
https://concordeurope.org/2016/12/19/post-cotonou-event-outcomes/
Zu anderen Prozessen und Akteuren:
https://www.africa-eu-partnership.org/en
http://ecdpm.org/wp-content/uploads/ecdpm25-background.pdf
Dr. Hildegard Hagemann | Deutsche Kommission Justitia et Pax |