Politik

AidWatch Report: Die europäische Entwicklungszusammenarbeit erfüllt ein zentrales Versprechen nicht

Vorstellung des AidWatch Reports in Brüssel

CONCORD’s AidWatch Report 2016 fordert die EU zu mehr Transparenz und Ehrlichkeit auf. Die Leistungen öffentlicher Entwicklungszusammenarbeit sollen auf die Beseitigung der Armut in Entwicklungsländern, auf die Förderung der Menschenrechte und auf die Erreichung der Entwicklungsziele der Agenda 2030 ausgerichtet bleiben.

Nach meinem Masterabschluss in International Development Studies an der Philipps-Universität Marburg erhielt ich vor kurzem die Zusage für eine Stelle als Projektreferent bei VENRO in Berlin. Schnell hatte ich ein schönes Zimmer in einer WG in Schöneberg gefunden. Nach einer kurzen Einarbeitungszeit lautete eine meiner ersten Aufgaben, diesen Blogbeitrag zum AidWatch Report 2016 zu schreiben – ein Auftrag, der sich als persönlicher herausstellen sollte, als er mir zunächst erschien. Dazu später mehr.

Was ist der AidWatch Report?

Der Bericht wird seit 2005 jährlich von der CONfederation for COoperation of Relief and Development NGOs (CONCORD) herausgegeben; dem europäischen Dachverband entwicklungspolitischer Nichtregierungsorganisationen, der zusammen mit seinen Mitgliederorganisationen mehr als 2.600 Akteure vertritt. Der Report überwacht die Höhe der von der EU und deren Mitgliedsstaaten zur Verfügung gestellten öffentlichen Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit (ODA – Official Development Assistance). Zudem gibt er Empfehlungen zu ihren Verwendungen.

Nur fünf EU-Staaten erfüllen die Vorgabe

Die EU und ihre Mitgliedsstaaten haben sich verpflichtet, eine ODA-Quote von 0,7% des Bruttonationalprodukts (BIP) zu erfüllen, hauptsächlich um wirtschaftliche und soziale Verbesserungen in Entwicklungsländern zu erreichen. Doch der AidWatch Report 2016 zeigt: Trotz der Verpflichtung zu 0,7%, blieben die von der EU erbrachten ODA-Leistungen im vergangenen Jahr bei 0,44% des BIP. Damit wird ein zentrales Versprechen der europäischen Staaten (inklusive Deutschlands) nicht umgesetzt.

Die Beiträge der einzelnen Länder unterscheiden sich zum Teil deutlich. Beispielsweise erbrachte Rumänien nach eigenen Berechnungen lediglich einen Beitrag von 0,07%, wohingegen Schweden ODA-Leistungen von 1,40% zur Verfügung stellte. Die 0,7%-Marke erreichten insgesamt nur fünf EU-Länder – Luxemburg, Schweden, Dänemark, die Niederlande und das Vereinigte Königsreich. Einige EU-Länder haben die ODA-Leistungen sogar gekürzt.

Nicht alle angerechneten Ausgaben helfen bei der Entwicklung vor Ort

Bei ODA-Leistungen handelt es sich um all jene öffentliche Leistungen, die der Förderung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung von Entwicklungsländern gelten und a) an Entwicklungsländer gehen oder b) an internationale Organisationen vergeben werden, die sich zugunsten von Entwicklungsländern einsetzen.

Das klingt erstmal eindeutig, aber was steckt dahinter? Tragen alle zur ODA angerechneten Leistungen tatsächlich zur Entwicklung bei?

Der AidWatch Report analysiert die von den Ländern zur ODA-Quote angerechneten Leistungen und zieht davon die Leistungen wieder ab, die weder einen Beitrag zur internationalen Entwicklung leisten, noch einen echten Ressourcentransfer darstellen. Diese Leistungen werden auch als inflated aid  bezeichnet. Dazu gehören zum Beispiel Schuldenerlässe, Zinsenrückzahlungen und Kapitalhilfen, die unter der Voraussetzung erbracht werden, dass sie für Beschaffungsaufträge im Geberland Verwendung finden (tied aid ).

Der Anteil der inflated aid  variiert innerhalb der EU erheblich: Während sie sich in Ländern wie Irland, Luxemburg und Finnland auf weniger als 10% der bilateralen Entwicklungsgelder belaufen, machen sie in Österreich, Italien, Polen, Griechenland und Portugal über 60% der bilateralen ODA-Quote aus.

Deutschland bläht Quote künstlich auf

Zu den ODA-Leistungen gehören auch die Ausgaben für Flüchtlinge im Geberland, wie beispielsweise Kosten für Transport, Nahrung, Lebensraum und Ausbildung. Die Einordnung solcher Kosten fällt dagegen je nach Land unterschiedlich aus. 2015 wiesen die Länder mit der höchsten Zahl von empfangenen Flüchtlingen auch einige der größten Zuwächse in der ODA-Quoten auf: Griechenland (39%), Deutschland (26%) und Ungarn (25%). Der Zuwachs resultiert dabei nicht nur durch den Anstieg der aufgenommenen Flüchtlinge, sondern auch durch Veränderungen in der Berechnung der ODA-Leistungen. So hat zum Beispiel Deutschland ab 2015 nicht mehr nur die Kosten der bewilligten Anträge berücksichtigt, sondern die Kosten für alle eingegangenen Anträge miteinbezogen. Außerdem wurden die Pauschalen pro Kopf fast verdreifacht und sowohl Integrationskosten (Schule, Kita, Integrationskurse) als auch Baumaßnahmen des Bundes dazu berechnet. So hat sich Deutschlands ODA-Quote von 0,42% in 2014 auf 0,52% in 2015 erhöht und Deutschland wurde selbst zum größten Empfänger seiner eigenen Entwicklungsgelder (siehe VENRO-Pressemitteilung).

Wenn auch die Mittel für Flüchtlinge in Deutschland und Europa sehr begrüßt werden, fordert der AidWatch Report die EU und ihre Mitglieder dazu auf, zusätzliche Finanzierungsmöglichkeiten für Flüchtlinge in Europa bereitzustellen und ODA-Leistungen weiterhin auf die Beseitigung der Armut – in allen ihren Formen und Dimensionen – in Entwicklungsländern auszurichten.

Meine persönliche Entwicklungshilfe

Nachdem ich diesen Blogbeitrag verfasst hatte, blieb bei mir eine Frage hängen: Wer erhält wirklich die finanziellen Leistungen für Entwicklungszusammenarbeit?

Diese Angelegenheit beschäftigte mich nicht nur, weil ich gelesen habe, dass die am wenigsten entwickelten Länder seit 2010 immer weniger finanzielle Unterstützung bekommen haben. Es fühlte sich auch persönlicher an. Denn als ich am Abend zurück in meine schöne Altbauwohnung in Schöneberg angekommen war, erzählte mir mein Mitbewohner Paul von seinem Vollzeitjob als Deutschlehrer für einen engagierten Flüchtling aus Syrien.

Am nächsten Morgen bin ich auf mein Fahrrad gestiegen. Nachdenklich, denn ich realisierte, dass nicht nur meine Schöneberger Wohnung aus den Mitteln für die Entwicklungszusammenarbeit teilfinanziert wird, sondern auch, dass ich ohne mein Studium, das für mich als ausländischer Student – wie ich nun erfahren habe – ganz aus den ODA-Leistungen finanziert wurde, sicherlich meinen Job im Herzen von Berlin nicht bekommen hätte, zu dem ich jeden Tag mit meinem Fahrrad fahre.


concord

Weitere Informationen zum AidWatch Report erhalten Sie auf der CONCORD-Webseite und auf Twitter.