Politik

Die Entwicklungspolitik droht unter die Räder zu geraten

Deutschlands Glaubwürdigkeit im globalen Süden steht auf dem Spiel: Aufgrund der gestiegenen Ausgaben für Waffeneinkäufe stehen Pläne der Bundesregierung im Raum, Einsparungen zu Lasten der Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Hilfe vorzunehmen. Ein Einbruch des Finanzierungsniveaus wäre angesichts der globalen Polykrise eine Katastrophe – und widerspricht dem Koalitionsvertrag.

Die Ampelkoalition lag die letzten Wochen im Streit über ihre haushaltpolitischen Prioritäten. Infolge dieses Streits hatte Bundesfinanzminister Christian Lindner den Eckwertebeschluss für 2024, der üblicherweise Mitte März veröffentlicht wird, kurzfristig abgesagt. Auch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) hat einen deutlich höheren Bedarf für das laufende und das kommende Jahr angemeldet (der Etat liegt 2023 bei 12,16 Milliarden Euro und 2022 bei 12,35 Milliarden Euro).

Laut mittelfristiger Finanzplanung droht dem BMZ-Etat jedoch für 2024 eine Kürzung auf 10,5 Milliarden Euro – ein starkes Minus von 1,8 Milliarden Euro. Für die Abdeckung zusätzlicher Bedarfe im laufenden Jahr sieht es ebenfalls schlecht aus, nachdem der Haushaltsausschuss Ende März überraschend 12 Milliarden Euro für Waffenlieferungen an die Ukraine gebilligt hatte, die aus einer Reserve für Globale Mehrausgaben bezahlt werden.

Wird die versprochene Unterstützung nicht eingehalten?

Die gestiegenen entwicklungspolitischen und humanitären Finanzierungsbedarfe werden im Kontext einer globalen Polykrise von der Ampelkoalition derzeit ignoriert. Stattdessen plant die Bundesregierung Kürzungen bei den Budgets für Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Hilfe (vgl. ODA-Forecast).

Mit der einseitigen Verteilung noch verfügbarer Gelder im laufenden Haushalt für Waffeneinkäufe droht die Entwicklungspolitik der Ampelkoalition unter die Räder bzw. Ketten der Verteidigungsausgaben zu geraten. Seit einigen Wochen steht im Raum, auch im kommenden Jahr zusätzliche Ausgaben für Waffeneinkäufe zu Lasten von Entwicklungszusammenarbeit zu finanzieren. Ein Einbruch des Finanzierungsniveaus von Entwicklungszusammenarbeit und humanitärer Hilfen wäre angesichts der globalen Polykrise eine Katastrophe. Deutschlands Glaubwürdigkeit im Globalen Süden würde erheblichen Schaden nehmen, wenn Rüstungsausgaben in die Höhen schießen, während die Entwicklungsausgaben (Official Development Assistance, kurz ODA) in den Sinkflug gehen. Denn auf den internationalen Gipfeltreffen und Afrika-Reisen wurde Unterstützung versprochen, die nicht eingehalten werden würde.

Warum im Bundeshaushalt 2024 #KeineZeitFürKürzungen ist

In Zeiten globaler Krisen darf die Bundesregierung nicht die internationale Solidarität untergraben. Stattdessen bedarf es mehr Engagement für eine lebenswerte Zukunft für alle Menschen. Anhand von vier Beispielen soll die Steigerung der Finanzierungsbedarfe von Entwicklungszusammenarbeit und humanitärer Hilfe illustriert werden:

  1. Ernährungssicherung und Krisenbewältigung: Die weltweite Nahrungsmittelkrise hat sich durch den Krieg in der Ukraine seit dem letzten Jahr massiv verschärft. In diesem Jahr werden nach Angaben des Welternährungsprogramms voraussichtlich 345,2 Millionen Menschen von Ernährungsunsicherheit betroffen sein – mehr als doppelt so viele wie im Jahr 2020. Dies bedeutet einen erschütternden Anstieg um 200 Millionen Menschen im Vergleich zum Stand vor der Covid-19-Pandemie. Der Bedarf an humanitärer Hilfe ist damit größer als jemals zuvor. Die G7 haben wiederholt (und im letzten Jahr in Elmau) versprochen, betroffene Regionen deutlich stärker zu unterstützen. Die eingeplanten Mittel reichen für die langfristige Bekämpfung der Ursachen und zur Bereitstellung ausreichender Nothilfe jedoch nicht aus. Die inflationsbedingten Kostensteigerungen reduzieren darüber hinaus die Handlungsmöglichkeiten der aktuellen Budgets.
  2. Dekoloniale und feministische Entwicklungspolitik: Die Bundesregierung will ihre Außen- und Entwicklungspolitik dekolonial und feministisch gestalten. Den Strategien der beiden Ministerien müssen nun Taten folgen, die auch haushaltspolitisch abgesichert sind. Besonders zivilgesellschaftliche Organisationen im Globalen Süden müssen in ihrer entwicklungspolitischen und humanitären Arbeit mehr unterstützt werden, um dem eigenen Anspruch gerecht zu werden und die anvisierten Veränderungen zu erreichen.
  3. Wiederaufbau Ukraine: Der Krieg in der Ukraine führt zu einer massiven Zerstörung ziviler Infrastruktur, wie es sie in Europa seit dem zweiten Weltkrieg nicht mehr gegeben hat. Deutschland und andere Länder helfen der Ukraine bereits jetzt in vielen zivilen Bereichen und haben zugesagt, sich beim Wiederaufbau zu beteiligen. Dies stellt einen großen zusätzlichen Bedarf für die Entwicklungsfinanzierung dar, der sich auch im Etat des BMZ für 2024 und in den Folgejahren niederschlagen muss und nicht zu Lasten von Entwicklungszielen im Globalen Süden gehen darf.
  4. Internationale Klimafinanzierung: Der letzte Bericht des Weltklimarats IPCC macht deutlich, dass die Welt mit den derzeitigen Maßnahmen bereits in den nächsten Jahrzehnten auf irreparable Klimaschäden immensen Ausmaßes zusteuert. Das Umweltbundesamt fordert erhebliche Klimainvestitionen in allen Weltregionen, um den Klimawandel endlich gemäß des Pariser Klimaabkommens zu begrenzen und die Lebensgrundlagen für Milliarden von Menschen nicht zu gefährden. Die Industrieländer haben ihre Zusagen für die internationale Klimafinanzierung nicht erfüllt, tragen aber bis heute zu einem Großteil der Klimaschäden bei. Der deutsche Beitrag zur internationalen Klimafinanzierung muss deshalb auf acht Milliarden Euro jährlich erhöht werden. Mindestens die Hälfte der Gelder sollte der Anpassung zugutekommt.

Die im Koalitionsvertrag vereinbarte Stärkung von Entwicklungszusammenarbeit, humanitärer Hilfe und Klimafinanzierung muss dringender denn je vorangebracht werden, sonst droht die Ampelkoalition in diesen Bereichen krachend zu scheitern. Um die Vereinbarungen zu erfüllen und die globalen Krisen bewältigen zu können, braucht es neben Aufwüchsen für 2024 auch in den Folgejahren eine bessere finanzielle Perspektive.


Weitere Informationen und Möglichkeiten für das eigene Engagement für eine bessere Finanzierung von Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe finden Sie unter www.weltweitwichtig.de.