Politik, Service

Krisen, Kriege, Klimawandel – wie handlungsfähig sind deutsche NRO im Lichte aktueller Herausforderungen?

Auf dem VENRO-Forum 2022

Vor welchen Herausforderungen stehen wir als entwicklungspolitische Zivilgesellschaft und wie können wir in einer Zeit voller Unwägbarkeiten handlungsfähig bleiben? Auf dem VENRO-Forum 2022 wurde deutlich: Mit Blick auf Klima, Krieg und humanitäre Katastrophen ist es wichtig, den Dreiklang aus Entwicklungszusammenarbeit, humanitärer Hilfe und Bildungsarbeit stärker zusammenzudenken.

Mit der Verabschiedung des Pariser Klimaabkommens und der Agenda 2030 im Jahr 2015 verbanden sich Hoffnungen auf Fortschritte auf dem Weg zur global nachhaltigen Transformation. Dass wir als NRO uns nun auf der Hälfte dieses Weges bis 2030 mit einer Fülle an sich überlagernden Krisen konfrontiert sähen und dadurch gewissermaßen ausgebremst würden, konstatierte die VENRO-Vorstandsvorsitzende Martina Schaub zu Beginn des 4. VENRO-Forums, das am 5. Dezember 2022 in Berlin stattfand. Sie richtete den Blick  jedoch auch auf die Chancen, unsere Arbeit jetzt kritisch zu hinterfragen und uns über anstehende Herausforderungen klarzuwerden. Gleichzeitig sprach sie sich auf der Veranstaltung dafür aus, auf Handlungsmöglichkeiten und Aktivitäten zu schauen, die uns in der Bildungsarbeit, in der Entwicklungszusammenarbeit und in der Humanitären Hilfe offenstehen, um resilient mit den gegenwärtigen Krisen umzugehen.

Deutliche Zunahme von humanitärer Arbeit

Ingrid Lebherz, Geschäftsführerin von AWO International e.V., berichtete von einer Verschiebung der politischen Aufmerksamkeit und der Handlungsprioritäten auf humanitäre Krisen, die das Arbeitsfeld der langfristigen entwicklungspolitischen Arbeit derzeit zu überlagern drohten. So leistete AWO International im Jahr 2022 in der Ukraine erstmals humanitäre Hilfe im Kontext eines Angriffskrieges. Diese neue Situation habe neue Aufgaben und Herausforderungen mit sich gebracht. Auch Karl-Otto Zentel, Generalsekretär von CARE Deutschland e.V., zeigte den gewachsenen Stellenwert der Humanitären Hilfe auf: 339 Millionen Menschen seien laut dem Global Humanitarian Overview 2022 auf Hilfe angewiesen. Der Finanzbedarf sei um 10 Prozent gestiegen, jedoch klaffe eine Lücke zwischen Bedarf und Finanzierung. Er stellte darüber hinaus fest, dass das System der humanitären Hilfe zunehmend an seine Grenzen stoßen werde, wenn die Ursachen von Krisen nicht besser adressiert würden. „Mit Effizienzgewinnen und mehr Mitteln werden wir den humanitären Bedarf nur bedingt decken können. Wir müssen an die Ursachen kommen und Lösungen finden, um die Krisen zu regulieren“, so Zentel.

Strategien zum Umgang mit Einschränkungen zivilgesellschaftlicher Handlungsräume

Angesichts sich schnell ändernder äußerer Bedingungen müssen wir auch in vielen Projekten und Programmen mehr Flexibilität und Pragmatismus etablieren. Was gestern Ausnahmen waren, ist heute eher die Regel. Hier müssen wir neue Standards entwickeln, die unbürokratisch und flexibel sind. Judith Ohene, Geschäftsführerin von Weltfriedensdienst e.V., zeigte die Notwendigkeit von mehr Flexibilität in Partnerschaften der Entwicklungszusammenarbeit auf. Insbesondere aufgrund zunehmender Einschränkungen zivilgesellschaftlicher Arbeit in einigen Ländern müssten neue Arbeitsweisen gefunden werden. So wurde beispielsweise eine Partnerorganisation in Simbabwe, deren Arbeit durch ein neues Gesetz eingeschränkt wird, von Südafrika aus unterstützt.

Ohene zeigte auf, wie wichtig ein agiler Austausch und Vertrauen in Partnerschaften – aber auch in der Zusammenarbeit mit Geberinstitutionen – geworden sei: „Wir haben gelernt, flexibler zu arbeiten und haben Vertrauen in die Partner und in die Kolleg_innen im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Jeder Tag, an dem kreative Lösungen funktionieren, schafft mehr Vertrauen und Vertrauen gibt Hoffnung.“

Was können NRO tun?

Die Diskussionen machten deutlich, wie wichtig es ist, vor dem Kontext der Polykrisen den Dreiklang aus Entwicklungszusammenarbeit, humanitärer Hilfe und Bildungsarbeit als Ökosystem zu stärken und die Zusammenarbeit zu fördern. Es gilt stärker denn je zuvor: Raus aus dem Silo-Denken und mutig neue Partnerschaften knüpfen. Das ressortübergreifende Denken, das wir so oft einfordern, müssen wir auch selbst leisten. So können Kapazitäten und Ressourcen gebündelt und die Handlungsfähigkeit auf allen Ebenen erhöht werden. Wichtig ist auch, das Potential der Partnerorganisationen sowohl für die unmittelbare Krisenresponse als auch für eine langfristige Transformation weiter zu stärken. Außerdem sollten sich NRO dafür einsetzen, dass Länder im Globalen Süden mehr Ressourcen zur Verfügung haben, um in soziale Sicherungssysteme zu investieren.

Insgesamt müssen wir Zugänge begleiten und die breite Öffentlichkeit stärker wirksam ansprechen. Hier spielt die Bildungs- und Informationsarbeit eine wesentliche Rolle. Die Themen des Globalen Südens werden durch die näher rückenden Krisen auch in Deutschland anschlussfähiger. VENRO kann hier nicht nur verstärkt in die Themensetzung gehen, sondern auch eine strategische Rolle übernehmen. Grundsätzlich sollten wir unsere Organisationen langfristig für krisenhafte Zeiten stärken – nach innen wie nach außen. Das fängt bei der Reflektion von Arbeitsbedingungen für die Mitarbeitenden und der Entwicklung von Leitlinien zur CO2-Reduktion an und endet bei der Entwicklung neuer Regularien in der Förderung, um Anpassungsfähigkeit zu erzeugen. Auch sollte die Aufmerksamkeit wieder zurück auf „vergessene“ Konflikte und die systemischen Herausforderungen gelenkt werden, anstatt bestimmte Krisen zu fokussieren.

Die Teilnehmenden des VENRO-Forums stellten viele neue Fragen und formulierten Themen, mit denen wir uns zukünftig als Dachverband und in den Organisationen weiter beschäftigen werden. Mathias Mogge, VENRO-Vorsitzender, betonte abschließend, dass es für uns als entwicklungspolitische und humanitäre NRO eine Vielzahl an konkreten Schritten gebe, die wir gehen könnten. „Wir wollen neue politische Impulse setzen, um zukunftsfähig zu sein und zu bleiben!“


Auf dem VENRO-Forum diskutieren Mitarbeitende der 143 VENRO-Mitgliedsorganisationen, die Arbeitsgruppen, der VENRO-Vorstand sowie die Geschäftsstelle einmal im Jahr über die Zukunft des gemeinnützigen Sektors. Ergebnisse von Slido-Umfragen unter den Teilnehmenden finden Sie hier: