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Rechtsunsicherheit für NRO: „In einer Demokratie ein unhaltbarer Zustand“

Dr. Ulf Buermeyer, Vorsitzender der Gesellschaft für Freiheitsrechte

Dem Netzwerk Attac und der Bürgerbewegung Campact wurde in diesem Jahr der Status der Gemeinnützigkeit aberkannt. Was bedeutet dies für andere gemeinnützige Organisationen? Dr. Ulf Buermeyer, Vorsitzender der Gesellschaft für Freiheitsrechte, erklärt im Interview, welche Schritte notwendig sind, um die Handlungsspielräume von NRO zu sichern.


Herr Buermeyer, der Bundesfinanzhof (BFH) hat im Februar dieses Jahres dem globalisierungskritischen Netzwerk Attac den Status der Gemeinnützigkeit aberkannt  wie hat der Bundesfinanzhof sein Urteil gegen Attac begründet?

Grundlage für das Urteil des Bundesfinanzhofs ist der Katalog der gemeinnützigen Zwecke in der Abgabenordnung. Hier hat der BFH eine Art Zwei-Klassen-Gesellschaft geschaffen: Vereine, die sich die Förderung von Sport, Kunst oder Kultur oder den Umweltschutz auf die Fahnen geschrieben haben, können auch politisch aktiv werden, um ihre Ziele zu fördern. Anders sieht das der BFH für die Zwecke der Förderung des demokratischen Staatswesens und der „Volksbildung“, u.a. politische Bildungsarbeit: Zwar sei es mit der Gemeinnützigkeit vereinbar, Lösungsvorschläge für die Tagespolitik zu erarbeiten, dabei dürfe aber nicht in der Absicht gehandelt werden, „die politische Willensbildung und die öffentliche Meinung zu beeinflussen“. Der BFH schränkt damit die Möglichkeiten der Zivilgesellschaft ein, an der politischen Meinungsbildung mitzuwirken. Dabei übersieht er, dass die Parteien zwar nach Art. 21 des Grundgesetzes bei der politischen Meinungsbildung mitwirken, aber gerade kein Monopol auf diese Meinungsbildung haben.

In wieweit hat das BFH-Urteil die Entscheidung des Finanzamts Berlin beeinflusst, auch der Bürgerbewegung Campact die Gemeinnützigkeit zu entziehen?

Das Attac-Urteil hat Signalwirkung für die Finanzbehörden. Auch im Falle von Campact wurde seitens des Finanzamts argumentiert, der Verein sei überwiegend allgemeinpolitisch tätig und mache Kampagnen zu Themen, die keinem gemeinnützigen Zweck der Abgabenordnung zugeordnet werden könnten. Es besteht die Gefahr, dass sich Finanzämter durch das Urteil ermutigt fühlen, bei politisch aktiven Vereinen besonders restriktiv mit der Gemeinnützigkeit umzugehen. Damit bestimmt die Finanzverwaltung, wer sich an der politischen Willensbildung beteiligen darf, ohne finanziell dafür abgestraft zu werden – in einer Demokratie ein unhaltbarer Zustand.

Was bedeutet das Urteil für andere gemeinnützige Organisationen, die politisch aktiv sind?

Insbesondere Organisationen, die den in der Abgabenordnung anerkannten Zweck der politischen Bildung verfolgen, sind durch das Urteil verunsichert. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte unterstützt z.B. den Verein DemoZ aus Ludwigsburg in einem Verfahren um den Entzug der Gemeinnützigkeit. Das Finanzamt beruft sich auf das Attac-Urteil und wirft dem DemoZ vor, den Zweck der politischen Bildung nicht „in geistiger Offenheit“ zu verfolgen – weil das DemoZ ausdrücklich Menschen mit rassistischer Gesinnung von seinen Veranstaltungen ausschließt. Das Finanzamt stößt sich beim DemoZ also an einer klaren Haltung, obwohl das DemoZ damit nur für die Werte unseres Grundgesetzes eintritt, wonach die Menschenwürde universell gilt und niemand z.B. wegen seiner Hautfarbe diskriminiert werden darf. Damit ein lebendiger zivilgesellschaftlicher Diskurs möglich ist, braucht es aber Akteure, die auch politische Positionen einnehmen und sich kritisch mit bestehenden Verhältnissen auseinandersetzen. Überparteilichkeit wird hier mit Beliebigkeit verwechselt.

Welche Schritte sind notwendig, um die Handlungsspielräume zivilgesellschaftlicher Organisationen zu sichern?

Vor allem der Gesetzgeber ist gefragt, einen rechtssicheren Rahmen für politisch aktive Organisationen der Zivilgesellschaft zu schaffen. Dazu gehört, dass Vereinen nicht mehr rückwirkend der Status der Gemeinnützigkeit entzogen werden darf: Die dadurch entstehenden Kostenrisiken sind von kleinen Vereinen nicht zu tragen und erzeugen Unsicherheit in der Planung von Projekten. Vor allem aber muss der starre Katalog der gemeinnützigen Zwecke durch eine Generalklausel ersetzt werden: Die bisherige Liste in der Abgabenordnung sollte nicht mehr abschließend sein, sondern lediglich beispielhaft gemeinnützige Zwecke nennen. Das Gemeinnützigkeitsrecht könnte dadurch gesellschaftliche Entwicklungen schneller aufgreifen. Die Liste sollte außerdem um „die Förderung der tatsächlichen Geltung und praktischen Wirksamkeit von Grund- und Menschenrechten“, die informationelle Selbstbestimmung und die Gleichstellung der Geschlechter ergänzt werden.


Dr. Ulf Buermeyer ist Vorsitzender der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) und Richter des Landes Berlin.