Politik

Globale Entwicklung für alle: Warum Inklusion #weltweitwichtig ist

Ein barrierefreier Zugang zu öffentlichem Raum fördert gesellschaftliche Teilhabe.

Auf dem Hochrangigen Politischen Forum in New York werden in diesen Tagen die Fortschritte bei der Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung besprochen. Deutschland berichtet am 15. Juli zum zweiten Mal über seine Bemühungen. Für unseren Verband ist die Verringerung sozialer Ungleichheit weltweit wichtig und wir meinen, dabei muss bei den Schwächsten angesetzt werden. VENRO-Vorstandsmitglied Michael Herbst geht dem Begriff der Inklusion auf den Grund und zeigt seine Bedeutung für das leave no-one behind-Versprechen der Agenda 2030 auf.

Inklusion ist zu einem politischen Kampfbegriff geworden, stellt der Soziologe Uwe Becker in seinem 2015 erschienenen Buch „Die Inklusionslüge“ fest. Der Begriff Inklusion taucht 1994 behindertenpolitisch erstmals in der Erklärung von Salamanca (Spanien) auf. Auf der dortigen UNESCO-Konferenz bekannten sich 92 Staaten zum Recht auf Bildung für Menschen mit Behinderungen. Sie sollte – wo sie überhaupt stattfand – fortan nicht mehr in Spezialeinrichtungen, sondern im allgemeinen Bildungssystem erfolgen. Konzeptionell stützte man sich dabei auf reformpädagogische Thesen zur sogenannten inklusiven Bildung, die – abseitig des Mainstreams in Leistungsgesellschaften – im Kern auf Wissensvermittlung in heterogenen Lerngruppen abzielt.

Die UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) von 2006 verwendet den Term Inklusion durchgängig, ohne ihn allerdings zu definieren. Entsprechend tobt seither ein Kampf verschiedenster gesellschaftlicher Akteure um die Deutungshoheit, der selbst vor dem Bundestagsausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung nicht Halt macht.

Die deutsche Fassung der UN-BRK, wie sie die Bundesregierung veröffentlichte, übersetzte sehr zum Missfallen der Behindertenverbände Inklusion zumeist zurück zu Integration, der gesellschaftlichen Teilhabe per individueller Unterstützung. Wer im englischen Original liest, dem wird klar, dass „inclusion“, „to include,“, „inclusive“ etc. in dreierlei Bedeutungszusammenhängen verwendet wird:

  1. Als Prinzip der Beteiligung von Menschen mit besonderen Bedürfnissen in gesellschaftlichen Planungs-, Entscheidungs- und Gestaltungsprozessen. Der Slogan der Behindertenbewegung „nothing about us without us“ drückt den Anspruch der „Experten in eigener Sache“ aus.
  2. Als Handlungsprinzip, das vorsieht, wann immer mit „angemessenen Vorkehrungen“ möglich, Lösungen zu bevorzugen, die selbstbestimmtes Handeln von Menschen mit besonderen Bedürfnissen ermöglichen. Denn diese ausgegrenzten Menschen zu integrieren oder sie gar in Parallelwelten zu segregieren, schafft letztlich immer Abhängigkeiten.
  3. Als Vision einer Gesellschaft, in der alle Menschen an allem selbstbestimmt und gleichberechtigt teilhaben können, was die Gesellschaft zu bieten hat. Das mag man für eine Utopie zwischen Urkommunismus und Bergpredigt halten. Wenn man aber fragt, wie die Menschenrechte für Menschen mit Behinderungen erreicht werden können, landet man beinahe zwangsläufig bei dieser Leitidee, und die UN-BRK fragt genau das.

Die am weitesten Hintenstehenden zuerst erreichen

Der zweite Halbsatz des Agenda-2030-Versprechens, niemanden zurückzulassen (leave no one behind, LNOB), macht deutlich, um was es geht: Die Verringerung sozialer Ungleichheit und damit eine globale Entwicklung hin zu sozialer Nachhaltigkeit kann nur gelingen, wenn die Schwächsten in unseren Gesellschaften aufholen können. Das ist eine Frage der Nichtdiskriminierung. Es ist aber auch eine von Positivdiskriminierung vor allem bei den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechten. Und prompt taucht der Begriff Inklusion in den nachhaltigen Entwicklungszielen gleich mehrfach wieder auf; dort wo über Armutsbekämpfung, Gesundheit, Bildung, Arbeit gesprochen wird zum Beispiel.

Mit Blick auf das derzeit bei den Vereinten Nationen in New York stattfindenden Hochrangigen Politischen Forum (High-level Political Forum) ist es #weltweitwichtig, dass die Bundesregierung in ihrer Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Hilfe

  • sich des vorgenannten Verständnisses des LNOB-Prinzips, wie es im Übrigen auch in der politischen Abschlusserklärung des SDG-Gipfels von 2019 formuliert wird, ernsthaft verpflichtet fühlt,
  • wirkungsvolle Strategien zur Verwirklichung von Geschlechtergleichstellung, Behinderten- und Kinderrechten erarbeitet und umsetzt, die neben Zielvorgaben auch Messgrößen, Verantwortlichkeiten, Budgetlinien und Zeitpläne enthalten sowie
  • einheitliche Marker einführt, mit denen Fortschritte gemessen werden können und ihre Partnerländer dabei unterstützt, dass Daten zur Lebenssituation benachteiligter Menschen erhoben werden können.

Michael Herbst ist VENRO-Vorstandsmitglied und Leiter Politische Arbeit und Beratung bei unserer Mitgliedsorganisation CBM.

 


Dieser Artikel ist Teil unserer Themenreihe zur Bundestagswahl 2021, in der wir unsere Erwartungen für die kommende Legislaturperiode formulieren. Die Blogserie basiert auf unserem aktuellen Positionspapier Was jetzt #WeltWeitWichtig ist – Erwartungen an die Parteien zur Bundestagswahl 2021. Darin fordern wir die Parteien, die zukünftigen Abgeordneten und die kommende Bundesregierung auf, ihre Prioritäten auf eine nachhaltige Politik zu richten, die alle mitnimmt!

Lesen Sie mehr dazu unter www.weltweitwichtig.de.