Politik

Migrationspakt stärkt staatliche Souveränität

Aus Sicht von Dr. Steffen Angenendt von der Stiftung Wissenschaft Politik fördert der Migrationspakt staatliche Handlungsfähigkeit statt sie zu beschneiden. Die Vereinbarung biete die Chance, eine nachhaltige und wirksame Migrationspolitik zu verfolgen. Der Rückzug einiger Länder schade zwar dieser Grundidee, stelle aber nicht ihren Sinn in Frage. Es komme darauf an, dass die beteiligten Länder die freiwilligen nationalen Umsetzungspläne nun wirklich verfolgen.

Herr Angenendt, die USA, Ungarn, Österreich, Tschechien und einige andere Länder machen bei dem globalen Migrationspakt nicht mit. Wie groß ist der Schaden dadurch? Hat der Pakt dann überhaupt noch Wirkung? Es geht ja um eine bessere internationale Zusammenarbeit in der Migrationspolitik und um Standards im Umgang mit Migrantinnen und Migranten.

Der Rückzug ist ärgerlich, zumal diese Länder ja die ganze Zeit mitverhandelt und auch der endgültigen Fassung des Dokuments zugestimmt haben. Dass diese Länder nun auf einmal entdeckt haben wollen, dass der Pakt ihren Interessen schadet, glaube ich einfach nicht. Für mich stehen dahinter politische Überlegungen, die mit dem Pakt selbst eher wenig zu tun haben. Da geht es um innenpolitische Fragen. Natürlich schadet der Rückzug dieser Länder der Grundidee des Paktes, allen Staaten bessere Möglichkeiten zum Austausch über migrationspolitische Fragen zu bieten. Die Idee ist ja, die Interessen von Aufnahmeländern, Transitländern und Herkunftsländern besser abzustimmen und auf diese Weise zu einer geordneten, sicheren und legalen Migration zu kommen. Dafür ist eine möglichst breite Beteiligung an dem Pakt wünschenswert. Aber der Pakt ist auch dann sinnvoll, wenn sich nicht alle Staaten beteiligen. Es wird ohnehin darauf ankommen, ihn praktisch umzusetzen. Dabei werden sich die Staaten, die Schwierigkeiten haben, ihre Migrationsprobleme zu bewältigen – sei es als Aufnahme- oder als Herkunftsländer — auch besonders engagieren, schon aus eigenem Interesse.

Die Opposition im Bundestag kritisiert, dass die Bundesregierung nicht früh genug über den Migrationspakt aufgeklärt hat. Jetzt haben wir eine fast emotionale Debatte, auch weil Rechtspopulisten dagegen mobilisieren. Was halten Sie von der aktuellen Debatte?

Ich kann nur sagen, dass es seit mehr als zwei Jahren eine intensive Fachdebatte über den Pakt gibt, dass die Zwischenschritte des Paktes immer veröffentlicht wurden und dass der Prozess für Staatenverhandlungen erstaunlich transparent war und immer noch ist. Auch die Stiftung Wissenschaft und Politik hat immer wieder Darstellungen und Bewertungen zu dem Pakt veröffentlicht. Der Punkt war doch, dass sich die Öffentlichkeit und auch die Medien kaum dafür interessiert haben. Das hat sich erst durch die Skandalisierung des Paktes in den sozialen Medien und bei uns in Deutschland durch die parlamentarischen Aktivitäten der AfD geändert. Leider sind in dem Zug aber auch Falschdarstellungen und Fehlinformationen verbreitet worden, und mit der Kritik am Pakt wird politische Stimmung gemacht. Das Geschrei dabei ist so laut, dass man mit vernünftigen Argumente und sachlicher Darstellung kaum noch Gehör findet.

Schadet die rechtspopulistische Meinungsmache dem Pakt, die beispielsweise argumentiert, dass durch ihn Zuwanderung beschleunigt und gestärkt wird?

Man hört immer wieder den Vorwurf, dass nach Unterzeichnung des Pakts alle Menschen auf der Welt weitgehende Rechte zur Migration erhielten – und die Staaten selbst nicht mehr entscheiden dürften, wem sie Zutritt geben. Das stimmt so nicht: Niemand nimmt den unterzeichnenden Staaten die Entscheidungsbefugnis und die Hoheit über ihr Einwanderungsrecht. Kein Land wird gezwungen, jemanden aufzunehmen, den oder die er nicht haben will. In diesem Sinn ist der Pakt nicht bindend. Aber er benennt eine Reihe von Prinzipien für gute Migrationspolitik, an denen die Unterzeichner sich orientieren sollen. Das gilt auch für die 23 konkreten Ziele, die er vorgibt. Ich sehe es deshalb genau andersherum: Der Pakt nimmt den Staaten keine Souveränitätsrechte weg. Er stärkt vielmehr die staatliche Souveränität, indem er die staatliche Handlungsfähigkeit fördert. Für eine erfolgreiche und nachhaltige Migrationspolitik braucht man Ansprechpartner in den Herkunftsländern – und dazu bedarf es der internationalen Zusammenarbeit, die dieses Abkommen fördern will.

Welche Hoffnungen setzen Sie in den Pakt? Kann sich durch ihn wirklich etwas zum Besseren verändern – international wie in Deutschland?

Wichtig ist der Pakt vor allem, weil er einen Kooperationsrahmen darstellt, der den Unterzeichnerstaaten praktische Unterstützung bei der Zusammenarbeitet bietet, etwa beim Aufbau von Verwaltungsstrukturen. Zudem hält der Pakt die Staaten dazu an, sich regelmäßig über ihre Fortschritte bei der Umsetzung des Paktes auszutauschen und darüber zu berichten. Auch diese Berichterstattung ist freiwillig. Sie kann aber dazu beitragen, dass gelungene Beispiele für Migrationspolitik Schule machen und dass schlechte Ansätze künftig vermieden werden. Die Regierungen sollten den Pakt unterzeichnen, weil er die Chance bietet, eine nachhaltige und wirksame Migrationspolitik zu verfolgen.

Wie wird die Umsetzung des Migrationspakts konkret aussehen? Was steht in den kommenden zwei Jahren an?

Die eigentliche Arbeit beginnt erst nach der Unterzeichnung: mit der Festlegung der eigenen migrationspolitischen Ziele, deren Umsetzung und der Kontrolle der Ergebnisse. Das sollte laut Pakt in Form von nationalen Umsetzungsplänen geschehen – wobei auch das freiwillig ist. Wenn die Regierungen das mit Nachdruck verfolgen, wird der Pakt auch dazu beitragen, dass Migration künftig positivere Folgen für alle Beteiligten hat, gerade auch, was die Arbeitsbedingungen und die Rechte von Migrantinnen und Migranten betrifft. Und schließlich sind praktische Erfolge bei der Reduzierung der irregulären Wanderung und bei der Nutzung der Entwicklungspotenziale von Migration der beste Weg, den Kritikern langfristig den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Welche Rolle sollte Ihrer Meinung nach die Zivilgesellschaft im Umsetzungsprozess spielen?

Die Zivilgesellschaft sollte sich für den Pakt einsetzen. Sie sollte über seine Vorteile aufklären. Sie sollte aber auch darauf drängen, dass er umgesetzt wird und dass sie an der Umsetzung und der Überprüfung beteiligt wird. Sie sollte verlangen, in die Erarbeitung der nationalen Umsetzungspläne einbezogen zu werden. Die Regierungen sollten die NGOs in die Lage versetzen, das organisatorisch und finanziell auch tun zu können, denn das Engagement bereitet Arbeit und verursacht Kosten.

Können Sie einen Bereich nennen – beispielsweise den Schutz vor Menschenhandel oder den Schutz vor Ausbeutung durch Vermittlungsagenturen – in dem man sich die möglichen Fortschritte konkret vor Augen führen kann?

Gerade der Schutz von Migrantinnen und Migranten durch ausbeuterische und kriminelle Vermittlungsagenturen könnte durch den Pakt verbessert werden. Das beste Mittel gegen solche Praktiken sind Migrationsprogramme, in deren Rahmen sich Herkunfts- und Aufnahmeländer auf Verfahren einigen, wie die Arbeitsbedingungen kontrolliert werden, wie Lohndumping verhindert werden kann und wie die Rechte von Migrantinnen und Migranten geschützt werden können. Dafür würde der Pakt einen guten Rahmen bieten, vor allem für einen internationalen Austausch über gute und schlechte Erfahrungen mit solchen Regelungen.


Steffen Angenendt leitet die Forschungsgruppe Globale Fragen der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und arbeitet zu Migration und Demographie.