Politik

Ungleichheit: Thema Nr.1 auf dem HLPF in New York

Side Event zu Ungleichheit auf dem HLPF

Die Frage nach der Verringerung weltweiter Ungleichheit zog sich wie ein roter Faden durch das diesjährige High-level Poltical Forum der Vereinten Nationen. Auch auf dem Side Event, das VENRO gemeinsam mit dem BMZ und der ILO veranstaltete, stand das Thema im Mittelpunkt – mit interessanten Erkenntnissen.

„Die reichsten ein Prozent besitzen die Hälfte des weltweiten Wohlstandes“, so begann Staatssekretärin Dr. Maria Flachsbarth ihren Eröffnungsvortrag. Frau Flachsbarth war eine der beiden Hauptrednerinnen einer Veranstaltung zu Ungleichheit, die VENRO gemeinsam mit dem Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und der internationalen Arbeitsorganisation ILO auf dem High-level Political Forum (HLPF) in New York organisiert hatte. Damit war eine wichtige Dimension der zunehmenden weltweiten Ungleichheit klar benannt – die wirtschaftliche. Frau Flachsbarth betonte darüber hinaus auch die enge Verknüpfung von Ungleichheit und Armut: Ohne die Reduzierung von Ungleichheit werde die Beseitigung extremer Armut bis 2030, wie sie die nachhaltigen Entwicklungsziele (SDG) vorsehen, nicht gelingen. Und sie ging noch weiter: Die zunehmende Ungleichheit – SDG10 – sei einer der wesentlichen Trends, die negativ auf die Umsetzung der gesamten Agenda 2030 wirken.

Die Verringerung von Ungleichheit war jedoch nicht nur Thema dieser Veranstaltung – auch auf dem diesjährigen HLPF stand das SDG10 der Agenda 2030 auf der Tagesordnung. Und dabei blieb es nicht, denn Ungleichheit zog sich auf dem HLPF wie ein roter Faden sowohl durch die Hauptveranstaltungen als auch durch die Side Events. Das Thema wurde bei der Eröffnung des HLPF von den Anwesenden sogar als wichtigste Herausforderung bei der Umsetzung der Agenda 2030 benannt – denn Ungleichheit verhindere quasi quer liegend die Erreichung vieler anderer Ziele und müsse daher grundlegend behandelt werden, vor allem auch ihre Ursachen.

Umverteilung und Steuerpolitik

Als mögliche Wege, den gegenwärtigen Entwicklungen entgegen zu wirken, legte Frau Flachsbarth folgende dar: Zum einen gehe es um eine progressive und faire Besteuerung und das Stopfen von Steuerschlupflöchern, den Kampf gegen Steuerflucht sowie die Forderung nach mehr Transparenz in Steuerangelegenheiten. Aber auch die verstärkte Verwendung öffentlicher Mittel für soziale Dienstleistungen, Bildung, Gesundheit und soziale Sicherungssysteme könnten zunehmender Ungleichheit entgegenwirken. Politikansätze mit positiver Umverteilungswirkung seien hier das Mittel der Wahl, und vor allem sollte der Zugang zu sozialen Dienstleistungen nicht vom privaten Einkommen abhängen. Und schließlich trage auch eine Politik, in dem sie die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern stärkt und faire Löhne garantiert, zur Reduzierung von Ungleichheit bei.

Politischer Einfluss und alltägliche Ungleichheit

Einen etwas anderen Schwerpunkt legte ich durch die Verbindung von Ungleichheit und politischem Einfluss (Lesen Sie hier meinen Beitrag): Ungleichheit wird zwar systemisch verstärkt, aber auch soziale Systeme werden von Akteuren produziert und reproduziert. Und genau hierin liegen Interessen einiger Akteure – in der Aufrechterhaltung von Ungleichheiten. Die zunehmende weltweite Ungleichheit geht zu einem großen Teil darauf zurück, dass die Reichsten noch reicher werden, nicht darauf, dass die armen Menschen noch ärmer werden. Die Einflussnahme dieser Eliten auf internationale politischen Regulierungs- und Entscheidungsprozesse sollte viel stärker im Fokus der Diskussion stehen, denn „das System“ agiert nicht von allein.

Aber auch ein vermeintlich alltägliches Leben in einem für Europa oder die USA typischen Lebensstil trägt zur Aufrechterhaltung von Ungleichheit bei: Die Übernutzung der Ressourcen wie Land und Wasser, die Externalisierung der ökologischen Kosten, die Ausbeutung von Arbeitskräften weltweit – das ist die Basis des Lebensstils vieler Menschen in Europa. Viele von denen wollen allerdings gar nicht in einem auf Ausbeutung gegründeten System leben! Sie wollen keine Kleidung kaufen, die in Sklavenarbeit produziert wurde. Hier sind Politik und Gesetzgebung gefragt – national und international –, um z.B. im Bereich Wirtschaft und Menschrechte verbindliche Regelungen einzuführen. Dazu braucht es politischen Mut und Willen zur Umsetzung.

Inequality is man made – there is a choice

Das folgende Panel, das aus deutlich unterschiedlichen Perspektiven zusammengesetzt war, führte den Argumentationsfaden, dass Ungleichheit gemacht sei, weiter. „Inequality is man made – there is a choice“, so Wolfgang Schiefer von der ILO. Auch in Arbeitsmärkten würden Ungleichheiten perpetuiert. Notwendig seien hier Politikansätze, die dem entgegen wirken, wie Umverteilung, Mindestlöhne und soziale Sicherungssysteme. Roberto Bissio von Social Watch präsentierte Uruguay als Land, das Ungleichheit tatsächlich reduziert. Erfolgreich sei hier die Kombination aus Besteuerung, Stärkung von Gewerkschaften und formaler Arbeit. So habe die Regierung ein Gesetz zum Recht auf Pflege erlassen und damit die (zumeist weiblichen) pflegenden Personen aus der Unsichtbarkeit geholt und zu Rechtsträger_innen gemacht.

Die Steuerthematik wurde auch von Chiara Mariotti (Oxfam UK) besonders in den Mittelpunkt gestellt. Sie schlug die Messung der Effizienz von Steuermaßnahmen vor, die deren Wirksamkeit auf Ungleichheit ermittelt. Eine stärkere Besteuerung reicher Bevölkerung, die Reduzierung der Mehrwertsteuer (da sie niedrige Einkommensgruppen ungleich stärker belastet) sowie die Bekämpfung von Steuerflucht waren die Instrumente, die auch Frau Mariotti ins Feld führte.

Globale Ungleichheit und der Einfluss der Wirtschaft

Neben der nationalen Perspektive lenkte Roberto Bissio den Blick auf die globale Ebene: Die globale Ungleichheit sei größer als die innerhalb des Landes mit dem größten Ungleichheitswert – Südafrika. Dies habe mit Machtsystemen zu tun, u.a. mit den Abstimmungsmechanismen in den internationalen Finanzinstitutionen, so Bissio.

Pedro Conceição, Direktor des Human Development Reports des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP), gab bereits einen Ausblick auf den Bericht zur menschlichen Entwicklung 2019, der sich als Schwerpunkt mit dem Thema Ungleichheit beschäftigt: Dem Bericht vorausgegangen waren zahlreiche Debatten darüber, wie eigentlich Ungleichheit zu fassen sei, wenn es nicht in erster Linie um Armutsbekämpfung ginge. Von welcher Ungleichheit sollte gesprochen werden? Hilfreich für UNDP sei hier das Konzept von Amartya Sen, der von Ungleichheit der Fähigkeiten und Potentiale (capability approach) spricht. Conceição forderte eine intensivere Beschäftigung mit Ungleichheit über die bisherige Diskussion – die oft den Fokus auf Exklusionsprozesse lege – hinaus. Damit kämen auch ganz andere Politikfelder in den Blick: Wenn die Anhäufung von Marktmacht einer der Haupttreiber von Ungleichheit sei, dann müssten auch Maßnahmen wie Wettbewerbspolitik oder auch der Einfluss von Wissenschaft und Technologie auf  Ungleichheit thematisiert werden.

Was wir brauchen

Letztendlich landete auch die Debatte auf dem Podium bei dem Fazit von Chiara Mariotti: „It’s about power relations and modifying power relations between countries, between men and women, the bottom and the upper group.” Was wir brauchen, sind neue und wirkungsvollere Ansätze. Und dafür ist eine starke Zivilgesellschaft notwendig. „Civil Society is essential to advancing social progress. Governments typically don’t trigger progressive approaches unless Civil Society is asking for that”, so Mariotti weiter.

Vieles von dem, was zu Ungleichheit führt, wird noch nicht erfasst und verstanden. Oder wie Pedro Conceição es formulierte: „Something is happening that social preferences are not translated into policies. Those who are on the top will get more and more and they will try to get decisions influenced.”

Dieser politische Einfluss ist häufig unsichtbar und schwer zu fassen. Doch genau darin liegt ein weiterer Schlüssel zur Reduzierung von weltweiter Ungleichheit.


Dieser Blogbeitrag ist in ähnlicher Form auch bei unserer Mitgliedsorganisation Brot für die Welt erschienen.