Politik

Halbzeitbilanz der Koalition: „Die größte Herausforderung ist eine kohärente Politik, die die Zusammenhänge beachtet“

Im Interview zieht Dr. Bernd Bornhorst, Vorstandsvorsitzender von VENRO, eine durchwachsene Bilanz der bisherigen Arbeit der Bundesregierung. Aus seiner Sicht bleibt die größte Herausforderung, eine kohärente Politik zu gestalten, die die Verbindungen zwischen den drängenden Fragen bei uns und im globalen Süden berücksichtigt.

Herr Dr. Bornhorst, VENRO hat eine Zwischenbilanz der Bundesregierung zur Umsetzung des Koalitionsvertrages gezogen. Wie fällt die Bilanz aus?

Leider kann unsere Bilanz nur durchwachsen ausfallen. Einiges hat die Bundesregierung auf den Weg gebracht, an vielen Stellen gibt es jedoch erheblichen Ausbaubedarf. In der Klimapolitik ist das kürzlich sehr deutlich geworden: Das Klimaschutzprogramm 2030 und das Klimaschutzgesetz reichen nicht aus, um den Verpflichtungen des Pariser Klimaschutzabkommens gerecht zu werden.

Zudem entfernt sich Deutschland – nach einem kleinen, vor allem rechnerisch entstandenen Hoch – wieder von seinem Ziel, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für öffentliche Entwicklungszusammenarbeit bereitzustellen. Durch die aktuellen Haushaltspläne wird die Quote im Jahr 2021 einen Tiefstand von 0,58 Prozent erreichen.

Wir erleben auch zu wenig davon, dass die Bundesregierung sich entschlossen gegen die Einschränkung von Zivilgesellschaft wendet, so wie sie es im Koalitionsvertrag betont hat. Nach attac wurde nun auch campact der Status der Gemeinnützigkeit entzogen. Die beiden Fälle zeigen, dass wir dringend eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts brauchen, um die Handlungsspielräume zivilgesellschaftlicher Organisationen zu sichern.

In der Afrikapolitik setzt die Bundesregierung verstärkt auf die Förderung privater Investitionen. Ist das eine erfolgversprechende Strategie, um Armut zu bekämpfen?

Natürlich heißt Entwicklung auch wirtschaftliche Entwicklung, und es braucht die Privatwirtschaft, um neue Arbeitsplätze zu schaffen oder die Infrastruktur zu verbessern. Allerdings dürfen öffentliche Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit nicht als Subventionen für privatwirtschaftliche Investitionsinteressen missbraucht werden. Eine Förderung mit Mitteln der Entwicklungszusammenarbeit wäre nur zulässig, wenn es eindeutige entwicklungspolitische Effekte gibt und die Bedürfnisse der ärmsten Menschen im Mittelpunkt stehen. Sehr problematisch ist dies insbesondere bei sehr großen Investitionen von multinationalen Unternehmen, die oft nur wenige Arbeitsplätze schaffen und teils Menschrechts- und Umweltproblematiken sogar verschärfen. Als wirksamer haben sich Investitionen von KMU erwiesen, die aber oft an fehlenden klaren Rahmenbedingungen, schwerfälliger Verwaltung oder Korruption scheitern. Das sind Probleme, an denen auch unsere Partner vor Ort leiden. Da braucht es politische Lösungen.

Weltweit kommt es regelmäßig in Fabriken und Bergwerken zu verheerenden Unfällen, an denen auch deutsche Unternehmen eine Mitschuld tragen. Was muss die Bundesregierung tun, damit die Unternehmen ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht nachkommen?

Eine Sache ist inzwischen ganz klar: mit freiwilligen Selbstverpflichtungen können wir die Menschenrechte von Arbeitern und Arbeiterinnen weltweit nicht gewährleisten. Wir brauchen dringend ein Lieferkettengesetz, welches Unternehmen in die Pflicht nimmt. Das oft genannte Argument, man mache mit einer gesetzlichen Regelung mittelständische Unternehmen für alle Risiken entlang der Lieferkette haftbar, ist unbegründet. Die UN-Leitprinzipien verdeutlichen ganz klar, dass Unternehmen nur für Schäden haften müssen, die mit zumutbaren Sorgfaltsmaßnahmen hätten verhindert werden können.

Ein Gesetz sorgt außerdem dafür, dass Unternehmen, die freiwillig höhere Standards einhalten, nicht schlechter dastehen als ihre Konkurrenten, die weniger verantwortungsvoll agieren. Und auch Verbraucherinnen und Verbraucher müssen sich darauf verlassen können, dass an dem Produkt, das sie kaufen, kein Blut klebt. Deswegen muss die Bundesregierung noch in dieser Legislaturperiode ein Gesetz auf den Weg bringen, welches dann als gutes Beispiel auch in eine europäische Gesetzgebung eingebracht werden kann.

Sind Sie zuversichtlich, dass am Ende der Legislaturperiode die Bilanz der Bundesregierung besser ausfällt? Was bleibt für sie bis dahin weiterhin zu tun?

Es fällt schwer, zuversichtlich zu sein, wenn man sieht, wie langsam sich die Bundesregierung in vielen Bereichen bewegt. Die größte Herausforderung erscheint mir nach wie vor, eine kohärente Politik zu schaffen, die die Verbindungen zwischen drängenden Fragen bei uns und im globalen Süden beachtet. Wenn etwa deutsche Bauern gegen den Ruin kämpfen und gleichzeitig das Handelsabkommen mit den MERCOSUR Staaten den Export von Rindfleisch nach Deutschland erleichtert, was in Brasilien wiederum zu weiteren Abholzungen des Regenwalds führen wird, dann sieht man, wie die Dinge zusammengehören und nur gemeinsam gelöst werden können. Das Abkommen in dieser Form abzulehnen, wäre sinnvoller, als nach seiner Unterzeichnung die Mittel für das Regenwaldschutzprogramm aufzustocken. Ein weiteres Beispiel: Wenn es das Ziel ist, Flucht und Migration einzudämmen, sollte man statt über Abschottung oder Rückführung zunächst über die steigenden deutschen Rüstungsexporte – auch in Krisenregionen – sprechen. Zuversichtlich stimmt mich, dass die Kreise in Politik und Gesellschaft, in denen über genau diese Zusammenhänge gesprochen wird, immer größer werden. Wenn sich daraus künftig konkrete Politikentscheidungen ableiten, hat sich die Debatte gelohnt.


Lesen Sie hier unsere Halbzeitbilanz der Bundesregierung: Es bleibt viel zu tun!