Der Auseinandersetzung mit Rassismus und kolonial geprägten Machtverhältnissen muss in der Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Hilfe mehr Platz eingeräumt werden. Nezahat Xuereb, Mitbegründerin des „Black, Indigenous und People of Color (BIPoC)“-Netzwerk in entwicklungspolitischen und humanitären NRO, hat selbst lange in einer Entwicklungsorganisation gearbeitet. Im Interview erläutert sie, was Organisationen tun können, um sich diverser aufzustellen.
Frau Xuereb, warum war es an der Zeit ein BIPoC-Netzwerk in entwicklungspolitischen und humanitären NRO zu gründen?
Es war uns wichtig, eine Plattform zu schaffen, die einen sichereren Raum für BIPoC-Kolleg_innen anbietet, in dem wir uns zu Rassismus, anti-rassistischer Arbeit und Dekolonialisierung austauschen können – ohne dabei ständig selbst verletzt zu werden.
In vielen NRO gibt es einen Mangel an Diversität und Inklusion, der zu einer Exklusion von BIPoC-Mitarbeiter_innen führt und rassistische postkoloniale Strukturen innerhalb unseres Sektors verschärft. Das Netzwerk soll dazu beitragen, dass BIPoC in NRO ihre Kompetenzen zusammenbringen, sich gegenseitig empowern, und damit die mangelnde Chancengleichheit in unserem Sektor voranbringen. Denn unsere Perspektiven und Erfahrungen sind wichtig und unverzichtbar für den Prozess der Dekolonialisierung des entwicklungspolitischen und humanitären Sektors.
Ist die entwicklungspolitische Szene in den letzten Jahren diverser geworden?
Es kommt darauf an, was unter diverser verstanden wird. Es bringt zum Beispiel nichts, ein paar neue Kolleg_innen auf niedrige Positionen zu setzen, um diverser zu wirken, wenn genau diesen Kolleg_innen eine echte Teilhabe innerhalb der Organisationen aufgrund der ausschließenden Strukturen verwehrt wird.
Aber ja, es gab auch kleine Fortschritte in den letzten Jahren, und es ist wichtig, die Bemühungen zu mehr Chancengleichheit aktiver Kolleg_innen anzuerkennen. Es ist bei einigen Kolleg_innen angekommen, dass wir alle Teil dieser rassistischen und postkolonialen Strukturen sind. In manchen Organisationen wird sich langsam damit auseinandergesetzt. Das hängt natürlich eng mit der globalen Black Lives Matter-Bewegung zusammen, die den Diskurs stark beeinflusst hat.
Es gibt jedoch noch viele Herausforderungen. Nur wenige Geschäftsführungen nehmen die Themen ernst genug, um sie tatsächlich mit Ressourcen zu untermauern. Viele Organisationen in unserem Sektor werden nach wie vor patriarchalisch geführt und erhalten damit die postkolonialen Strukturen aufrecht. Niemand möchte von der eigenen Macht abgeben, aber genau das braucht es. Um echte Fortschritte zu erzielen, müssen Organisationen ihre Arbeitsweise und Kultur grundlegend verändern. Vor allem in Bezug auf die Zusammenarbeit mit den Partner_innen im sogenannten globalen Süden.
Was können Organisationen tun, um mehr Mitarbeiter_innen mit (post)migrantischen Erfahrungen zu gewinnen?
Um mehr Mitarbeiter_innen mit (post)migrantischen Erfahrungen zu gewinnen, müssen Organisationen vor allem grundlegend ihre Strukturen hinterfragen. Es ist wichtig, dass Vorurteile, Diskriminierungen und eine rassistische Kommunikation angegangen werden, denn solche strukturellen Hindernisse verhindern, dass BIPoC-Mitarbeiter_innen die gleichen Chancen haben. Organisationen sollten darauf achten, dass BIPoC in Führungsverantwortung kommen und in Entscheidungsprozesse etwa bei der Neubesetzung von Positionen maßgeblich einbezogen werden. Eine homogene weiße Personalabteilung oder eine Personalabteilung, in der es einige BIPoC gibt, diese allerdings keine echte Entscheidungsbefugnis besitzen, gilt es sehr kritisch zu betrachten. Schließlich fungieren diese Abteilungen besonders als Filter der Organisationen.
Die Schaffung von inklusiven und diversitätsbewussten Arbeitsplätzen, die es BIPoC ermöglichen, sich sicher und gleichberechtigt zu fühlen, ist unabdingbar. Organisationen sollten zum Beispiel ihr Verständnis von Qualifikationen hinterfragen. Die fachlichen Erwartungen an Mitarbeitende sind immer subjektiv und können daher aus einer intersektionalen Perspektive sehr ausschließend wirken. Empowerment-Maßnahmen für die bereits tätigen Kolleg_innen sind wichtig und kommen leider oft viel zu kurz.
Nezahat Xuereb, Mitbegründerin des „Black, Indigenous und People of Color (BIPoC)“-Netzwerk in entwicklungspolitischen und humanitären NRO, ist Trainerin für Diversität und Antidiskriminierung. Davor hat sie lange im entwicklungspolitischen Bereich gearbeitet, unter anderem bei Oxfam, wo sie im Fundraising tätig war und auch Mitglied einer Anti-Rassismus AG war.
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